“Another Day in Paradise” am Piz Badile

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(Nachtrag: Dieser Bericht wurde vor dem großen Bergsturz am 23. August 2017 geschrieben. Aktuell ist der reguläre Zugang zur Sasc-Furä-Hütte nicht möglich. Es werden weitere Bergstürze erwartet, deshalb ist das Bondasca Tal  auf längere Sicht zu meiden.)

Wer einmal durch die „Cassin“ in der Piz Badile Nordostwand geklettert ist, kommt von dieser beeindruckenden Wand gedanklich so schnell nicht wieder los. Hier wurde Alpine Geschichte geschrieben: Im August 1937 durchstiegen die Italiener Cassin, Ratti, Esposito, Molteni und Valsecchi nach dreitägigem Kampf im Wettersturz den zentralen Wandteil. Molteni und Valsecchi starben anschließend beim Rückweg durch die steile unübersichtliche Südflanke an Erschöpfung. Wer diesen abenteuerlichen Abstieg kennt, erahnt was sich damals bei winterlichen Verhältnissen abgespielt haben muß. In den 50er Jahren fuhr der berühmte Hermann Buhl übers Wochenende mit dem Fahrrad ins Bergell und durchstieg die Cassin als erster im Alleingang, für die damaligen Verhältnisse eine herausragende Leistung. Auf dem Heimweg fiel er schließlich vom Fahrrad schlafend in den Inn …

Was mich an dieser Wand so fasziniert, sind diese endlos langen Plattenfluchten, durchzogen von unzähligen Schuppen, Rippen und Leisten, die wie ein Labyrinth hinauf zum Nordgrat ziehen. Der Granit auf der Bergeller Nordseite ist ungemein rau und grobkörnig, somit sehr angenehm zu durchsteigen. Das Ambiente in dieser rießigen Wand ist beeindruckend, der Blick hinüber zur Sciora-Gruppe, zum Cengalo Pfeiler, darunter die zerrissenen Gletscherflächen. Im Winter 2012 hat sich am Piz Cengalo ein Bergsturz ereignet, der seinesgleichen sucht: Mindestens eine Million Kubikmeter Gestein brach im Gipfelbereich des Dreitausenders weg und donnerte ins Val Bondasca hinab. Die Abbruchfläche misst vermutlich mehr als ein Hektar. Wer sich den genialen Cengalo Pfeiler vornimmt, braucht mittlerweile allerdings ein gutes Nevenkostüm. Der Weg zur bekannten Bügeleisenkante ist aktuell anscheinend gesperrt …

Im Gegensatz zur Cassin, die hauptsächlich einer Verschneidungs- und Kaminlinie folgt, ist die „Another Day in Paradise“ am Badile eine reine Plattenroute, die durch die gängigsten Schuppenzonen hinauf zum oberen Drittel des Nordgrats führt. Trotz der Absicherung mit Bohrhaken ist diese Route durchwegs spannend und anspruchsvoll: Die Wegfindung ist oft nicht einfach, die Haken sind teilweise schlecht zu finden bzw. heben sich aufgrund des oberflächlichen Rostes vom Fels kaum ab. Bei Hakenabständen von bis zu 15 Metern ergeben sich immer wieder größere Runouts, die nur gelegentlich mobil entschärft werden können. In einigen Bereichen schleicht man über flechtige Plattenzonen oder gelangt über das ein oder andere Moospolster, kaum zu glauben, dass hier oben noch was wächst. Nach intensiven Regenfällen hält sich die Feuchtigkeit an manchen Stellen, deshalb ist es ratsam eine längere Schönwetterperiode abzuwarten.

Obwohl die beiden Routen „Cassin“ und „Paradise“ im Gletscherbecken beginnen, hat sich der Zustieg über das oft schneebedeckte Cassin-Band unterhalb der Nordkante des Badile etabliert. Manche Seilschaften biwakieren hier sogar, um bei Tagesanbruch die Ersten zu sein. Mit erhöhtem Besucherandrang und Staus ist in diesen berühmten Routen ohnehin meist zu rechnen. Wir seilten vom Band über den Vorbau 4mal zum Gletscherbecken hinab und kletterten anschließend den gleichen Weg wieder hinauf. Ein perfektes Aufwärmprogramm und die Erfahrung, worauf man sich bei den restlichen 17 Seillängen einstellen kann. Es empfiehlt sich, auf dem Cassin-Band nochmals ordentlich zu frühstücken, um anschließend den weiten Weg hinauf zum Nordgrat im Leichtgepäck bzw. ohne Rucksack zu bewältigen.

Wenn Phil Collins wüsste, wofür der Titel seines gleichnamigen Songs herhalten muss. „Another Day in Paradise“ gehört zum Pflichtprogramm für Liebhaber langer Alpiner Kletterrouten. Trotz der „Plattenlastigkeit“ hat sich diese Route vor allem wegen ihrer ordentlichen Länge von 21 Seillängen, der über weite Strecken spannenden und anspruchsvollen Kletterei sowie der landschaftlich eindrucksvollen Umgebung schnell zum Klassiker etabliert. Kletter- und absicherungstechnisch ist sie schwieriger als die benachbarte „Cassin“, ein potentieller Rückzug jedoch relativ einfacher. Man beachte die regelmäßigen Bergeller Gewitter, die schon so manche Seilschaft nachmittags überrascht hat, deshalb ist ein früher Aufbruch ratsam …

Schwierigkeit

Die Schwierigkeiten von Beginn an: 6+, 4, 6-, 6-, 7-, 6-, 6-, 5, 5+, 6, 5+, 5, 5, 7, 5+, 5, 5, 4, 3, 4, 5. Die Route wurde von Schweizer Plattenspezialisten erstbegangen und ist deshalb in den gängigen Führern etwas unterbewertet. So kann in den meisten Seillängen ein halber Grad dazu gerechnet werden. Insgesamt 7- obligatorisch.

Absicherung

Obwohl die Route als „teilsaniert“ gilt, muss immer noch mit längeren Bohrhakenabständen von bis zu 15 Metern gerechnet werden. Mit kleineren Friends kann gelegentlich zwischengesichert werden. Die schwereren Passagen sind zwar etwas enger gebohrt, jedoch zwingend zu klettern. An den Ständen befinden sich jeweils zwei Bohrhaken, die zum Abseilen eingerichtet sind.

Material

Doppelseil, 10 Exen, Schlingen, etwas kleinere Friends, Abseilausrüstung

Zustieg

Von der Sasc Furä Hütte folgt man zunächst dem Pfad Richtung „Viäl“, dem Übergang von der Sasc Furä Hütte nach links zur Sicora Hütte. Nach ca. 45 min. geht man rechts des Grates geradeaus weiter bis zum Beginn großer Granitplatten. In leichter Kletterei bis zum 3. Schwierigkeitsgrad, die Schneereste umgehend, gelangt man zu einer Scharte am Fuß der Nordkante (2590 m). Hier stiegt man in leichter Kletterei ca. 100 m nach links zum Cassin-Band hinab, und erreicht in dessen Mitte den Einstieg der Route. Von der Hütte ca. 2 Stunden.

Abstieg

Abseilen über die Route. Rückweg über das Cassin-Band. Bei erhöhtem Andrang kann auch über die Badile-Nordkante abgeseilt werden, was jedoch mühsamer ist.

Zufahrt

Ausgangspunkt ist die kleine Ortschaft Bondo unterhalb des Maloja-Passes. Über eine schmale Fahrstraße gelangt man in wenigen Kilometern zum obersten Parkplatz des Val Bondasca. Am Taleingang befindet sich ein Münzautomat, Fahrgebühr 10 Schweizer Franken bzw. Euro.

Übernachtung

Auf der idyllisch gelegenen Sasc Furä Hütte (1904 m). Erreichbar in ca. 1,5 Stunden vom obersten Parkplatz im Val Bondasca. Alternativ Biwak am Fuße der Nordkante bzw. auf dem Cassin-Band.

Topos

Schweiz Plaisir Ost, Filidor Verlag
Kletterführer „Nichts als Granit“, Verlag Versante Sud

 

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2 Gedanken zu „“Another Day in Paradise” am Piz Badile“

  1. Hallo Gordon,
    da gehts doch ums Gesamterlebnis, der alpinen Umgebung, Länge und Anspruch. Die ganzen plattenlastigen Grimsel-Routen wie Eldorado usw. sind doch auch nicht langweilig bzw. heiß begehrt, das ist halt eine andere Herausforderung …

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  2. Vielleicht hatte ich damals irgend wie einen schlechten Tag, aber ich fand die Route langweilig, alles gleich, nur Schuppen. Und das unweit eine der besten Routen die ich je geklettert bin. Ich hatte sogar gemeint, man sollte die Route wieder abbauen! Ich muss allerdings zugeben, wir sind vom Band gestartet. Sorry!

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