„Herzogkante“ an der Lalidererwand

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Die Herzogkante, vielleicht die berühmteste Klettertour im Karwendel, fand schon vor langer Zeit ihren Platz in Walter Pause’s  „Schwerem Fels“. So ist sie mir schon seit meiner Jugendzeit ein Begriff, jedoch hat  es sich im Laufe der Jahre nie ergeben, der Route einen Besuch abzustatten.

Wir planten unseren Kletterurlaub etappenweise vom Allgäu Richtung Berchtesgaden, die Herzogkante lag auf dem Weg und wir machten Halt. Das einzige was ich von ihr wusste: Sie ist sehr lang (ca. 20 Seillängen)  4. – 5. Grad, und der Abstieg durch die Spindlerschlucht soll abenteuerlich sein. Der Bruch im Karwendel ist ja weitbekannt, aber so eine klassische Tour müsste doch häufig begangen und deshalb gut abgeklettert bzw. ordentlich eingenagelt sein, dachte ich mir …

So radelten wir vom Parkplatz bei Hinterriss 12 km zur Falkenhütte empor. Insgesamt sehr idyllisch, den Berg immer malerisch im Blick. Da kann der Auftrieb noch so groß sein, aber mit der Schlosserei im  Rucksack fängt man irgendwann doch zu schieben an, das nahm keine Ende,  und knappe  3 Stunden später wird man schweißgebadet vom Touristenstrom auf der Falkenhütte empfangen. Das ist schon ein krasser Kontrast, wie man ihn selten antrifft. Hinter der Hütte ragt die Lalidererwand 800 Meter senkrecht empor, die Hütte ist randvoll, überall Bikes wild verstreut und dazwischen der Duft von Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn. Keine Spur von düsteren Nordwand-Gesichtern …

Offizielles Frühstück gibt’s erst um halb acht, so werden wir morgens um sechs Uhr in die Hütten-Küche bestellt: Noch zwei Kampfgenossen, die die Magic-Line machen wollen, pro Person 2 Scheiben Brot, 1 Portion Marmelade in der Plastikverpackung, dazu Nescafe mit  lauwarmem  Wasser. So pack ich die Kante nie, also ab zum Kühlschrank und Nachschub organisieren …

Der Weg zum Einstieg ist ein Katzensprung, ca. eine Dreiviertelstunde. Hier gibt’s Anfang August noch ein riesiges Alt-Schneefeld, vielleicht 30 Grad steil, morgens um 7 beinhart gefroren. Passt genau zur Tour. Aber ich hatte ja nicht zufällig meine Umschnall-Pseudo-Leicht-Steigeisen dabei, um problemlos an den ersten Stand zu gelangen …

Dann kam die Erinnerung zurück, so war das früher.  Schuttige Bänder, wenig Normalhaken, modrige Schlingen und „wo geht’s lang?“ Schon lange keine Alpine 4er Tour mehr gemacht. Das Panico-Topo, eine Lachnummer, Walter Lackermayer’s Aufzeichnungen  von den „Wuidn Buam“ dazu verglichen … Wir kamen ziemlich schnell zur Erkenntnis, wir könnten die Topos genauso gut zum Papierflieger falten und ins Tal schweben lassen. Dafür immer schön an der Kante bleiben, der logischen Linie folgend, Rostgurken suchen, dem größten Bruch ausweichen, der nach oben hin immer krasser wird … Viele hakenlose Varianten und  Verhauer, dafür umgeschlagene Klebehaken an den Ständen zur Orientierung. Irgendwie passen hier keine Bohrhaken her, umgeschlagene noch weniger, Anarchie am Fels …

Und immer wieder: Maßlos brüchiger Karwendelfels. Ich erinnere mich noch genau an eine senkrechte Wandstufe: Mit einem Hammer hätte ich hier zentnerweise Fels abräumen können. Keine Haken, keine mobile Absicherungsmöglichkeit, also Augen zu und durch im unteren 6. Grad. Vielleicht war das ja früher vor dem Plaisir-Zeitalter alles ganz normal … Am Schluss doch noch eine schöne, feste Verschneidung in der Nordwand links der Kante, mit gigantischem Tiefblick. Und die Tour zieht sich, mehr als 20 Seillängen, von wegen Schwierigkeitsgrad 4 – 5, wohl eher Stellen 5+/6-.

Am Gipfelgrat: Die Magic-Line-Bezwinger stehen auch schon da. Waren wir sooo langsam? Also doch:  Tempo 50 + … Oder waren die so schnell, weil sie alles A0 geklettert sind, wie wir später erfuhren? Wie dem auch sei, vorbei an der futuristischen Biwakschachtel und durch eine Steinwüste weiter zum nächsten Abenteuer:  Der Abstieg durch die Schindlerschlucht, die auch erstmal gefunden werden muss … Und wir wurden nicht enttäuscht, sie hält, was sie verspricht:  Katastrophale Abseilstände an einem Haken, falls vorhanden. Dazwischen grüne oder rote Punkte für den Fußabstieg ungesichert im schottrigen 3er-Gelände, wer hier fliegt oder einen Stein abbekommt … Nach unten hin wird die Orienterung immer schwieriger, dafür die improvisierten Abseilstellen immer häufiger.  Dolomiten-Abstiege sind vergleichsweise paradiesisch. Aber auch dieses Endlos-Abenteuer nahm ein gutes Ende, beim letzten Licht erreichten wir das Bike und  ratterten ohne Stirnlampe im Dunkeln 12 km zurück ins Tal …

Resümee: Die Zeiten haben sich geändert, dem Plaisir-Kletterer stellt‘s die Haare auf, abgehakt, einmal ist genug. Aber gerade solche Touren vergisst man nie … Topo zur ungefähren Orientierung gibt’s im Karwendelführer vom Panico-Verlag sowie einige Beschreibungen im Netz, einfach googlen …

 

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5 Gedanken zu „„Herzogkante“ an der Lalidererwand“

  1. Ich frage mich welche Route die beiden Allgäuer wohl geklettert sind. Zugegeben, die Herzogkante ist keine Plaisier-Route aber ich habe entlang der gesamten Kante (und ich bin sie mehrmals gegangen) sogar die immer wieder beschworenen V- Stellen gesucht. von 5+/6- weit und breit keine Spur. Auch das Gejammere, das man keine mobilen Sicherungsmittel einsetzten kann ist einfach Unsinn. Aber: Die Herzogkante ist eben eine ernsthafte alpine Tour, auch wenn sie “nur” IV+ ist.
    Ähnliches gilt für den Abstieg durch die Spindlerschlucht. Er (der Abstsieg) erfordert einfach Umsicht, Vorsicht und alpines Können.

    Zusammenfassend bleibt zu sagen: Wer sich im alpinen Gelände nicht wohl fühlt sollte im Klettergarten bleiben. Einen großen Vorteil hat die Horrorbeschreibung der Allgäuer allerdings: Die Herzogkante wird durch derartige Beschreibungen sicher keine Modetour ersten Ranges – durch diese Beschreibung und nicht weil sie etwas nicht wunderbar und sehr lohnend wäre.

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    • Das ist doch allgemein bekannt, dass der Karwendelfels oft maßlos brüchig ist. Insofern werden sich da Sportkletterer und Plaisirkletterer nicht sehr wohlfühlen. Der Schwierigkeitsgrad 4+ bezieht sich wohl auf die traditionelle Skala von 1 bis 6. Ich fand manche Stellen auf der Kante auch deutlich schwerer als 4+

  2. Bin Jahrgang 1941 und bin die Herzogkante mit meinem Freund Dieter Eckert aus Holzkirchen vor etwa 30 Jahren gegangen. Als gebürtiger Villacher habe ich meine Kletterjugend in den Julischen Alpen genossen, die gesteinsmäßig und von der Felsgestalt her dem Karwendel ähnlich sind. Wir haben die Tour großartig und alpin empfunden. Mir war die Bewertung IV+ in Erinnerung. Es soll mich aber freuen, wenn wir damals etwas Schwierigeres geschafft haben. Auch die Spindlerschlucht fanden wir eindrucksvoll und langwierig, gefährlich erschien sie uns jedoch nicht. Sicherlich sind die Sonnenplatten in Arco oder die Südwände der Sellatürme freundlicher, um nicht zu sagen lieblicher!

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  3. Mein Karwendelführer der fünfziger Jahre, aus heutiger Sicht uralt, bewertete die Herzog mit IV+. Als wir sie in den achtziger Jahren gingen, fanden wir (mein Partner war immerhin Pietro Crivellaro, Mitglied der legendären italienischen Changabang-Expedition 1981) die Kante stark unterbewertet. V / UIAA würde ich ihr schon geben. Da es manche Varianten (andere sagen: Verhauer) gibt, die schwerer sind, kann man manchmal schon einen Hauch von -VI spüren.

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  4. Hallo Peter,

    Guter Bericht, sehr informativ. Das gilt für die gesamte Seite.
    Deine Einschätzung bezüglich der Schwierigkeitsbewertung 5+/6- kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Habe die Tour zweimal gemacht einmal freesolo. Haben sich die Zeiten tatsächlich so geändert. Die alte Bewertung nämlich 5- fand ich absolut richtig. Auch der Abstieg durch die Spindlerschlucht ist bei gutem Wetter doch nicht so ein Horror wie hier beschrieben. Der Umgang mit brüchigem Gestein ist auch erlernbar.
    Gruß
    Dieter Becker

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