Hörnligrat am Matterhorn

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Meine erste Begegnung mit dem Matterhorn war vor ca. 20 Jahren, ich plante eine Solo-Begehung über den Hörnli-Grat. Damals kam ich in Zermatt mit zwei jungen Bergsteigern ins Gespräch, die meinten: Aktuell herrschen Top-Bedingungen, du brauchst keine Steigeisen und keinen Pickel, das geht jetzt wunderbar …

So lief ich im Leichtgepäck in der Dunkelheit den Bergführern hinterher. Bei Tagesanbruch war der Weiterweg klar, ich überholte sämliche Teams, an der Solvay-Hütte vorbei und über die Fixseile hinauf bis unter das Gipfel-Schneefeld. Bis hierher alles kein Problem, doch dann begann die Misere. Der Weiterweg war total vereist, ohne Steigeisen hatte ich keine Chance. Wie konnte ich nur so blauäugig sein und die Ratschläge der Youngsters von Zermatt befolgen?

Ich wartete ca. eine halbe Stunde auf die ersten Bergführer mit ihren Gästen und bat sie der Reihe nach, mich die restlichen 200 Meter auf den Gipfel mitzunehmen. Keine Chance, immer wieder Kopfschütteln, völlige Ignoranz, bestimmt 50 Bergsteiger zogen an mir erbarmungslos vorbei. Aus heutiger Sicht für mich durchaus verständlich, die Führung hatte Priorität und wer weiß wen man da auf über 4000 Meter Höhe mit ans Seil mitnimmt?

Die meisten Teams waren bereits an mir vorbei gegangen, da rief plötzlich ein junger Franzose von oben herab: 50 Franken! Ich wusste nicht wie mir geschieht, war sprachlos über diese Angebot, doch ich hatte keine andere Wahl und willigte kurzentschlossen ein. Er setzte seinen Gast zunächst auf dem Gipfel ab und brachte mir anschließend dessen Steigeisen wieder herab. Während der Bergführer an den Fixseilen wartete, eilte ich schnell aufs Matterhorn, wieder zurück und drückte ihm die versprochenen 50 Franken in die Hand. Ein hoher Preis für 150 Höhenmeter, doch ich war froh auf dem schönsten Berg der Alpen gestanden zu sein. Der Franzose rannte schließlich auf den Gipfel zurück und kümmerte sich wieder um seinen Schützling …

Sommer 2018, eigentlich wollten wir den Liongrat von der italienischen Seite aus angehen. Nach zwei Viertausendern zur Akklimatisation hatten wir jedoch bereits genügend Höhenmeter genossen, scheuten alle weiteren Umwege, und entschieden uns kurzentschlossen für die schnellste Beute über den Hörnligrat. Aber diesesmal vorausblickend mit Steigeisen, Pickel und Seil …

Die Fahrt mit der Gondelbahn hinauf zum Schwarsee lockt zahlreiche Tagesgäste an und man fragt sich, wo sind hier eigentlich die Matterhorn-Bezwinger. Beim Aufstieg zur mittlerweile neu erbauten Hörnli Hütte kamen uns massenhaft Wanderer inclusive Hunde und Nonnen entgegen. Schafe liegen am Wegrand und lassen sich von den Kindern streicheln. Das Matterhorn lockt jeden Tag hunderte Touristen an, die möglichst nah am Berg sein möchten. Zufällig traf ich einen alten Bekannten mit seiner Familie, der mit ihr bis zum Einstieg hinter die Hörnli Hütte wanderte, um wenigstens Hand an den Berg zu legen.

Täglich grüßt das Murmeltier. An der Hörnli Hütte angekommen, wurden wir von der obligatorischen Geräusch-Kulisse empfangen. Ein Hubschrauber setzte eine ein paar Japaner ab, die sich vom Matterhorn abholen ließen. Den eigentlichen Grund interessiert hier keinen mehr. Schließlich die Anmeldung in der ausgebuchten Hütte: Schlangestehen an der Rezeption, das Personal immer noch freundlich: 150 Franken für die Halbpension mit gleichzeitiger Einweisung. Abendessen gibt’s um 19 Uhr, Frühstück um 4 Uhr. Ebenso ist der Aufbruch am Morgen genau geregelt: zuerst starten die Zermatter, dann die auswärtigen Bergführer und schließlich die privaten Gruppen.

Beim Abendessen lernten wir Patrick kennen, ein Gebirgsjäger aus Berchtesgaden der in erster Linie mit dem Jeep durch die Berge fährt. Er war alleine hier und fragte uns, ob wir ihn wenn’s brenzlig wird eventuell mitnehmen würden. Ja freilich. Schon wieder so eine Blauäugigkeit meinerseits, die uns fast noch eine zusätzliche Nacht für 150 Franken gekostet hätte. Dann saß da noch Michael am Tisch, der auf seinen Bergführer gewartet hat. Michael war früher im 9. Grad unterwegs, bevorzugt aber mittlerweile das Jonglieren in seiner Münchner Wohnung. Wirklich sehr entspannte Begegnungen, zumindest noch an diesem Abend …

Der nächsten Morgen am Einstieg des Hörnligrats, unweit von der Hütte entfernt. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wir warteteten ca. 45 Minuten in der Dunkelheit, bis sich der Wurm zahlloser Bergsteiger langsam in Bewegung setzte. Die ersten Aufschwünge sind mit Fixseilen versehen und führen schließlich in ein Labyrinth mehr oder weniger ausgetretener Pfade, wo sich die Masse langsam verteilt. Einfach nur dem Schein der Stirnlampen hinterher trotten, die Bergführer weisen einem sicher den Weg. Die Reihenfolge hat sicher auch sein Gutes …

Nach Tagesanbruch lösten wir uns von der Masse, überholten die ein oder andere Seilschaft, die sich entweder verstiegen hat oder einfach nur zu langsam war. Der Aufstieg ist zunehmend selbsterklärend, man hält sich stets links der breiten Gratkante und folgt den abgekletterten Felspassagen, die oft von Steigeisen zerkratzt sind. Hin und wieder trifft man auf Eisenstangen, den Sicherungspunkten der Bergführer, die zusätzlich eine gute Orientierung bieten.

Nach ca. 3 Stunden steilte sich das Gekraxle plötzlich spürbar auf und eine ca. 20 Meter hohe Wand im 4. Schwierigkeitsgrad führte zur Solvay Hütte hinauf. Dort herrschte bereits reges Treiben, obwohl die Übernachtung nur für den Notfall erlaubt ist. Zeitgenau erlebten wir den ersten Hubschrauber-Einsatz an diesem Tag, bei dem mehrere Kletterer, warum auch immer aus der Wand geflogen wurden. So ist das heutzutage: der Griff zum Handy, Minuten später ist man wieder zurück auf der Hörnli Hütte. Im Inneren der Hütte vegetierten zwei Japaner im völlig versifften Matratzenlager vor sich hin. Die hölzerne Klo-Konstruktion gewährt hier ganz nebenbei einen zwiespältigen Durchblick in die düstere Nordwand hinab …

Nach der ersten Rast reihten wir uns hinter der Hütte wieder in die Schlange ein. Ein Garmischer Bergführer drängte sich mit seinem Gast vehement vor und meinte, er dürfe den Anschluss zu seiner Gruppe nicht verlieren. Ah so, fast hätte ich’s vergessen, Bergführer haben am Matterhorn ja Priorität. Der Weiterweg jenseits der 4000er Grenze war nun für kurze Zeit relativ harmlos und führte über eine breite, blockige Halde hinauf zum ersten Schneekontakt.

Und siehe da: hier trafen wir auf Patrick, der bereits auf uns wartete. Schnell war er schon, 30 Jahre jünger, aber kombiniertes Gelände zählte nicht zu seinen Vorlieben. Auf der rechten Seite des Hörnligrats war es nun schlagartig um 20 Grad kälter und man bewegt sich gelegentlich am oberen Rand der schattigen Nordwand. Der steilste Abschnitt des Grats ist hier über eine längere Strecke mit dicken Tauen entschärft und garantiert in bereits stattlicher Höhe ansstrengendes aber auch sicheres Höhersteigen. Zusätzliches Manko: um die Mittagszeit steigen die ersten Seilschaften wieder vom Gipfel ab und verursachen dadurch längere Wartezeiten an der zugigen bzw. frostigen Gratkante.

Hier begegneten wir auch wieder dem Michael, der sichtlich angeschlagen, genauer gesagt unansprechbar war. Sein Bergführer hetzte ihn den Berg rauf und runter, um möglichst bald wieder auf der Hütten-Terasse zu sitzen um die nächsten Gäste entgegen zunehmen. 1200 Franken für einen Marathon, nur um einmal auf dem Matterhorn gestanden zu sein. Eine weitere Seilschaft biwakierte nach dem verstopften Lion-Grat (hier ging anscheinend nichts mehr vorwärts) in Gipfelnähe und ließ sich bald darauf vom Hubschrauber abholen …

Schließlich erreichten wir das Ende der Fixseile, vor uns die steile hartgefrorene Gipfelflanke. Vor 20 Jahren stand ich schon einmal hier, hilflos und alleine gelassen. Diesesmal musste ich mich um Patrick kümmern, seine Retro-Steigeisen mit nur einer Front-Zacke waren viel zu schlecht für den Weiterweg geeignet. Wir packten zum erstenmal das Seil aus, um ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren. Wer hier stürzt, rutscht 1200 Meter die Nordwand hinab. Die letzten hundert Höhenmeter sicherten wir über vereiste Stufen bis zum Grat hinauf und gelangten schließlich unschwierig hinüber zum Gipfel auf 4478 m Höhe.

Es war viel zu kalt, um sich hier länger aufzuhalten und die weitreichende Aussicht zu genießen. Außerdem drängte die Zeit, da wir am gleichen Tag noch nach Zermatt absteigen wollten. Ich richtete im Gipfelbereich Abseilstellen ein, damit Patrick sicher zu den Fixseilen hinab gelangte. Vom Pech verfolgt konnte er nun wegen der Kälte die dicken Taue nicht mehr halten und wir mussten erneut mehrmals abseilen. Der Abstieg gestaltete sich zunehmend zäher, dazu wurde er immer unsicherer. Patrick entschied sich schließlich auf der Solvay Hütte zu bleiben, damit wir nicht in die Dunkelheit gerieten. Wir konnten nur hoffen, dass er am nächsten Tag mit einer Gruppe weiter absteigen durfte bzw. den Hubschrauber bestellte. In der Hütte befand sich ausreichend eingeschweißte Expeditions-Nahrung und eine Flasche mit japanischem Schnaps. Bevor wir uns verabschiedeten fragte er noch, ob er davon essen dürfe. “Patrick, gehört alles dir, erhol dich gut und komm wieder heil herunter …”

Der weitere Abstieg zur Hörnli Hütte zog sich endlos in die Länge, aber jetzt konnten wir ungebremst Gas geben. Unzählige Bänder und Rinnen glichen einem Labyrinth, nur nicht nach rechs in die Ostwand verleiten lassen! Die Dunkelheit am Morgen vereitelte das fotografische Gedächtnis zur Orientierung für den Abstieg. Am besten hält man sich immer links, um an den markanten Felsturm über der Hörnli Hütte zu gelangen. Schließlich erreichten wir wieder ausgetretene Pfade und später die Fixseile, die hinab zum Einstieg führen. Gerade noch geschafft, bei Einbruch der Dunkelheit waren wir wieder zurück in Zermatt …

Fazit

Natürlich sollte man als ambitionierter Bergsteiger einmal auf dem schönsten Berg der Alpen gestanden sein. Der Hörnligrat gilt zwar als „überlaufen“, doch vielleicht sind es gerade die vielen mehr oder weniger kuriosen Begegnungen, die einem neben der eigentlichen Tour besonders in Erinnerung bleiben.

Anspruch

Wenn man den Anstieg mit anderen Normalwegen auf einen Viertausender vergleicht, entpuppt sich der Hörnligrat als durchaus anspruchsvoll, was vor allem die Orientierung und Länge betrifft. Er gilt als einer schwierigsten Normalwege auf einen Viertausender mit einer Kletterstrecke von ca. 1700 Metern. Es ist mit Kletterpassagen bis zum 4. Schwierigkeitsgrad zu rechnen, sonst überwiegend 1 bis 3, gelegentlich sogar ausgetretene Pfade. Dazu verwandelt sich der Gipfelaufbau bei Neuschnee oder Vereisung schnell zu einer gefährlichen Rutschbahn. Eine gute vorherige Akklimatisation erleichtert den Anstieg um Einiges …

Zeitbedarf

Für den Aufstieg ca. 5 – 6 Stunden, für den Abstieg ca. 3 Stunden

Ausrüstung

Steigeisen, Pickel, Einfachseil, Helm

Zugang

Von Zermatt mit der Bahn hinauf zum Schwarzsee. Über einen Wanderweg gelangt man in ca. 2 Stunden zur Hörnli Hütte.

Übernachtung

Auf der Hörnli Hütte. Eine frühzeitige Reservierung ist dringend zu empfehlen. Siehe www.hoernlihuette.ch

 

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