Ostern 2023. Eigentlich wollten wir die Skitouren-Saison am Berninapass ausklingen lassen. Doch wie so oft machte uns das plötzlich noch eintreffende April-Wetter einen Strich durch die Rechnung. Das hätt‘s jetzt nach dem ohnehin schneearmen Winter auch nicht mehr gebraucht. Somit ging es gleich weiter auf die Alpensüdseite, diesesmal an den Lago d’Iseo.
Wir hatten bisher nur Gutes von den dortigen Klettermöglichkeiten gehört, ein Besuch hat sich jedoch nie ergeben. Die Gegend liegt für uns ja auch nicht gerade um die Ecke. Während am Alpenhauptkamm das Schmuddel-Wetter herrschte, schien hier gleich am ersten Tag die Sonne. In einer Jahreszeit, bei der im Allgäu noch lange Hosen und Fleece angesagt sind, kletterten wir hier bereits im T-Shirt.
Was das Klettern betrifft, ist der Iseo-See im deutschsprachigem Raum lediglich in gut informierten Insiderkreisen bekannt. Man glaubt es kaum: es sind unzählige Klettergärten, die vor allem von der Kletterszene aus Brescia und Bergamo belagert werden, oft in versteckten Seitentälern. Verglichen mit dem Gardasee gibt es am „Iseo“ wesentlich mehr Spots mit gängigen Sportkletterrouten in den unteren bis mittleren Schwierigkeitsgraden. Jedes Gebiet besitzt seinen eigenen Charakter, von überhängenden Granitwänden bis hin zu geneigten Kalkplatten ist die Vielfalt groß. Die Kletterführer sind prall gefüllt mit Felsmassiven rund um den See, im Radius von bis zu 50 Kilometer. Genügend Stoff für einen mehrwöchigen Aufenthalt, falls es die Zeit erlaubt …
Neben den vorwiegenden Kalkwänden bietet vor allem das nordöstlich angrenzende Val Camonica einige Felsmassive, die aus dem „Verrucano Lombardo“ bestehen. Der rotbraune Granit ist mit einer ordentlich rauen Oberfläche behaftet und deshalb angenehm kletterfreundlich. In diesen Gebieten (u. a. Darfo und Rogno) gibt es neben den obligatorischen Sportkletterrouten auch einige Mehrseillängen-Touren mit Wandhöhen bis zu 180 Metern. Und dies alles relativ talnah, die Zustiege betragen oft nur wenige Minuten zu den verschiedenen Sektoren. Dazu liegt der Wandfuß meist auf einer angrenzenden ebenen Wiese, was sich vor allem für Familien eignet. In vielen Klettergärten gibt es auch Infotafeln mit Topos zur Orientierung.
Was den Tourismus betrifft: Der Lago d’Iseo wird weit weniger belagert als die bekannten norditalienischen Seen auf der Alpensüdseite. So ist es auch in den Klettergebieten, die sich fernab von jeglichem Trubel erfreuen. Der kommt erst zur Badesaison auf, wenn sich auch die Italiener in den Urlaub begeben. Zu dieser Zeit ist es ohnehin oft zu heiß zum Klettern, besser sind der Herbst, milde Wintertage und bis ins späte Frühjahr hinein.
Der vielleicht geeignetste Ausgangspunkt, um die umliegenden Klettergebiete zu besuchen, ist die Ortschaft Pisogne, am nordöstlichen Iseo-Ufer gelegen. Hier gibt es den Campingplatz „Eden“ auf einer Wiese direkt am See. Wie der Name schon sagt: ein paradiesisches Ambiente mit dem Basecamp am Wasser. Von dort ist es nur ein Katzensprung zu den Bars, Restaurants und Eisdielen rund um den ursprünglich gehaltenen Dorfplatz von Pisogne. Wer versehentlich eine XXL-Pizza bestellt hat, dem rate ich einen Verdauungs-Spaziergang entlang der wunderschönen Uferpromenade …
Was man auch noch wissen sollte: Im angrenzenden Val Camonica gibt es ca. 300 000 Runen, bzw. Felsritzen entlang des Tals verstreut. Dies ist die weltweit größte Fundregion prähistorischer Petroglyphen, seit 1979 das erste von der UNESCO als Welterbe anerkannte Objekt in Italien. Die Felsritzungen sind auf einer Strecke von 25 Kilometern verteilt und liegen auf Höhen zwischen 200 und 1400 m über dem Meeresspiegel. Das nachgewiesene Alter der Runen beträgt ca. 10 000 Jahre bis hin zur Römischen Kaiserzeit. Wer in den Klettergebieten unterwegs ist, stößt immer wieder auf Hinweistafeln und Schaubildern zur Beschreibung der Fundstellen. Ein geeignetes Programm, um sich in den Ruhephasen zwischen den Rotpunkt-Projekten auf die Suche zu machen …
Schwierigkeitsangaben
Die Kletterrouten rund um den Iseo-See sind im allgemeinen eher hart bewertet. Meist kann mindestens ein halber Grad dazugerechnet werden.
Absicherung der Kletterrouten
Sämtliche Routen sind perfekt mit Bohrhaken abgesichert. Einzige Ausnahme: das Mehrseillängen-Klettergebiet „Rogno“ weist Alpinen Charakter auf und es ist mit weiten Hakenabständen bzw. altem Material zu rechnen. Hier sind Keile und Friends hilfreich.
Ausrüstung
70-Meter-Sportkletterseil, 12 Exen. Keile und Friends für das Klettergebiet „Rogno“.
Eine kleine Auswahl an Klettergebieten
„Castro“ am Lago d’Iseo
Der kurze Zustieg, bequeme Wandfuß und überwiegend einfache, meist kurze Routen machen diesen Klettergarten ideal für Familien. Die Wand liegt bei einer schönen Wiese und die Aussicht auf den Iseo-See ist phantastisch. Wegen der günstigen Ausrichtung kann hier auch im Winter geklettert werden. Im Sommer ist es jedoch meist zu heiß, auch wenn oft ein frischer Wind vom See her weht. Aufgeteilt in 2 Sektoren, gibt es ca. 75 Routen im Schwierigkeitsgrad 3a bis 7a. Dabei überwiegen die unteren Grade bis 6a. Einige Routen sind auch für Anfänger geeignet. Die graue Kalksteinwand bietet Leisten und mehr oder weniger große Löcher in allen Variationen. Der Klettergarten ist perfekt mit Klebehaken abgesichert.
Man fährt von Lovere (am Nordufer) ca. 1 km südwestlich entlang des Sees zur kleinen Ortschaft Castro und parkt am Friedhof. Ein gepflasterter Weg führt bequem in 5 Minuten zur bereits sichtbaren Wand hinauf.
„Falesia di Grone“ im Val Cavallina
Eine schräg gelagerte, bergwärts gerichtete Kalkplatte bietet ca. 80 Kletterrouten mit einer Länge von bis zu 35 Metern. Die meisten Routen sind im Schwierigkeitsgrad 4a bis 6a angesiedelt. Selten erlebt man solch eine Vielzahl an einfachen Routen, die auch für Anfänger geeignet sind. Und die Kletterei ist phantastisch: Die Wand ist gespickt voller Löcher, Schlitzen und Henkeln, die auch mit Friends abgesichert werden könnten. Bei den etwas schwierigeren 6a-Routen handelt es sich oft nur um kurze Einzelstellen, der Rest ist dann in der Regel einfacher. Die Einstiege sind meist kunstvoll beschriftet und die Absicherung mit Bohrhaken perfekt. Durch die bewaldete Umgebung und westliche Ausrichtung kann hier auch im Sommer geklettert werden.
Um dieses Gebiet zu erreichen, fährt man von Lovere durch’s Val Cavallina Richtung Casazza. Nach dem Ortsteil Grone geht es bei einer Bar an großem Platz links ab zum Industriegebiet. Man parkt ganz hinten bei einer Holzbearbeitungs-Fabrik. Von hier entlang der Pfade linkshaltend in ca. 10 Minuten zur bereits sichtbaren Wand hinauf.
„Cividate Camuno 1“ im Val Camonica
Der Klettergarten bietet in 5 verschiedenen Sektoren ca. 90 Routen vorwiegend in den Schwierigkeitsgraden 6a bis 7b. Im vordersten rechten Bereich gibt es aber auch ca. 10 anfängertaugliche Wege bis zum 6. Grad, die entsprechend stark frequentiert und deshalb bereits etwas abgespeckt sind. Der schnelle Zugang von 2 Minuten und ebene Wandfuß tragen sicher zur Beliebtheit dieses Klettergartens bei. Die gesame Anlage eignet sich hervorragend für Familien. In den schwereren Linien handelt es sich oft um kleingriffige Kalkkletterei und durch die zahlreichen Begehungen sind viele Routen auch schon hier relativ abgeklettert. Der im Führer angegebene Schwierigkeitsgrad stellt sich deshalb meist etwas schwieriger dar. Sämtliche Linien sind perfekt mit Bohrhaken abgesichert. Durch die südseitige Lage kann fast das ganze Jahr über geklettert werden.
Man fährt von Pisogne taleinwärts durch‘s Val Camonica. Nach ca. 10 km befindet sich auf der linken Talseite die kleine Ortschaft Cividate Camuno. Man parkt bei einer kleinen Sportanlage mit Kiosk gegenüber der gut sichtbaren Wand. Der kurze Zustieg von ca. 150 Metern erfolgt über einen schmalen Schotterweg zu den ersten Routen.
„Cimbergo“ im Val Camonica
Der Klettergarten unter dem kleinen Gebirgsdorf Cimbergo ist sicher das Schmuckstück im gesamten Val Camonica. Der Hauptsektor besteht aus einer mächtigen, überhängenden Wand, die zahlreiche Kletterer in den oberen Graden anlockt. Bereits 2011 hat hier Adram Ondra einen 8a-Bolder geknackt. Dazu gibt es weitere Sektoren mit etwas leichteren Linien im Bereich 5a bis 6b. Insgesamt sind es vielleicht 100 Routen im Schwierigkeitsgrad 5a bis 8a. Charakteristisch ist der kompakte, phantastische Granit mit zahlreichen Leisten, Kanten, Rissen und Verschneidungen. Manche Linien sind ausgesprochen lang und athletisch. Der Klettergarten bietet sehr interressanten Routen, für jeden Anspruch ist etwas mit dabei.
Doch es ist nicht nur der einzigartige Fels, was dieses Klettergebiet so begehrt macht. Es liegt ruhig versteckt in einem herrlichen Wald und in der ganzen Gegend sind die berühmtesten prähistorischen Felszeichnungen Europas wild verstreut. Hinweistafeln weisen den Weg zu den verschiedenen Runen und Höhlen. Es lohnt sich auch, das darüberliegende kleine Dorf Cimbergo zu besichtigen. Traditionelle Häuser, enge Gassen und eine alte Burg ziehen hier im Sommer immer mehr Touristen an.
Um das Gebiet zu erreichen, fährt man vom nördlichen Iseo-Ufer ca. 20 km taleinwärts, zuletzt nach rechts über Serpentinen nach Cimbergo hinauf. Kurz vor Ortsbeginn befinden sich auf einer langen Geraden auf der linken Straßenseite ein paar Parkplätze. Schilder mit der Aufschrift „Falesia“ führen in ca. 10 Minuten zum Hauptsektor hinab. Die leichteren Routen gibt es ein kurzes Stück tiefer linkshaltend in einem Canyon bzw. bei einer markanten Platte.
„Monticolo di Darfo“ im Val Camonica
Der Klettergarten bei der kleinen Ortschaft Darfo besteht aus dem „Verrucano Lombardo“, einem kompaktem Gestein, das dem Granit ähnelt, aber feiner strukturiert und rotbraun gefärbt ist. In 10 verschiedenen Sektoren gibt es ca. 75 Routen mit einer Länge von bis zu 3 Seillängen im Schwierigkeitsgrad 5a bis 7b. Der Anteil leichter bis mittelschwerer Routen bis 6b überwiegt, somit sind sehr viele Linien im 5. bis 6. Grad vorhanden. Trotz vieler Begehungen ist der Fels noch kaum abgespeckt.
Gleich beim Zugang trifft man auf der linken Seite auf einen gut besuchten Sekor mit einigen gängigen Routen, ebenso etwas rechts davon an der abgewinkelten Wand. Relativ isoliert in der Mitte des Klettergartens (ca. 200 m rechts des Parkplatzes) befindet sich ein kleiner Sektor mit kurzen, leichten und sehr gut gesicherten Linien. Besonders reizvoll ist der Sektor Monticolo an der äußersten rechten Seite des Massivs. Bei einer Wandhöhe von bis zu 80 Metern gibt es hier einige kurze Mehrseillängen-Routen im 4. bis 5. Grad, die besonders für Anfänger geeignet sind.
Der kurze Zustieg von wenigen Minuten und ebene Wandfuß und eignen sich besonders für Familienausflüge. Wegen der Vielfalt an Routen samt guter Absicherung ist der Klettergarten trotz Straßennähe sehr beliebt. Die Felsen sind südseitig ausgerichtet und versprechen den ganzen Tag Sonne. In der Nähe des Parkplatzes befinden sich Infotafeln zum Klettergarten.
Man fährt vom Iseo-See talaufwärts bis zur kleinen Ortschaft Darfo. Hier folgt man den Schildern zum „Parco Acquatico“, dann durch einen kurzen Tunnel zum Archeopark, der durch ein großes Schild am Hügel gekennzeichnet ist. Hier ein paar hundert Meter weiter, bis sich auf der linken Seite die ersten Felsen und rechts die ersten Parkplätze befinden. Ein Schotterweg führt nach links in 2 Minuten zum ersten Sektor. Bei einem großen Felsblock unter der Wand gibt es die berühmten Runen zu besichtigen.
„Rogno“ im Val Camonica
Der Klettergarten Rogno besteht aus einer Reihe an Platten und Pfeilern in der Nähe der gleichnamigen Ortschaft. Das Massiv gilt als das bekannteste talnahe Mehrseillängen-Gebiet im Val Camonica. Die rotbraunen Granit-Wände (Verrucano Lombardo)erreichen teilweise eine Höhe von bis zu 180 Metern. In 12 verschiedenen Sektoren gibt es ca. 80 mehr oder weniger lange Routen im Schwierigkeitsgrad 3a bis 7a. Der Anteil bis 6a überwiegt, und es gibt hier sogar einige anfängertaugliche Linien im 3. bis 4. Grad.
Durch die überwiegend weiten Hakenabstände herrscht hier ein Alpiner Charakter. Es können aber auch gelegentlich Keile und Friends eingesetzt werden. Die Bewertung ist insgesamt eher streng, sodass der angegebene Schwierigkeitsgrad gut beherrscht werden sollte. In den schwereren Linien ab 5c ist ein souveräner Vorsteiger anzuraten. Die meisten Routen sind mittlerweile saniert, dennoch trifft man immer wieder auf altes Bohrhaken-Material.
Die meisten Einstiege sind beschriftet, ebenso gibt es richtungsweisende Schilder zu den jeweiligen Sektoren. Bei den meisten Linien wird über die Route wieder abgeseilt, teilweise sind auch markierte Fußabstiege vorhanden. Rogno ist sicher ein Gebiet für alpin-ambitionierte Kletterer. Die Talnähe und südliche Ausrichtung erlauben es im Frühjahr, Herbst und auch an milden Wintertagen zu klettern.
Die für das Massiv typischen Platten sind Zeugen prähistorischer Populationen, die hier zahlreiche Felsgravuren hinterließen. Heute ist dieser Ort von großer archäologischer Bedeutung. Zum Glück haben die Routenschrauber diesem Ort dem ihm gebührenden Respekt gezollt und bei ihrer Arbeit darauf geachtet, diesem historischen Schatz keine Schäden zuzufügen.
Man fährt vom nördlichen Iseo-Ufer ca. 8 km taleinwärts hinauf nach Rogno. Der Parkplatz befindet sich beim Friedhof. Von dort führen beschilderte Pfade hinauf zu den einzelnen Sektoren. Die Zustiegszeit beträgt ca. 10 bis 20 Minuten.
Alternativprogramm
Man begebe sich auf die Suche nach den prähistorischen Runen. Siehe de.wikipedia.org
Monte Isola, die größte Insel im Lago d’Iseo. Siehe de.wikipedia.org
Unterkunft
Für einen längeren Aufenthalt eignet sich der sehr schöne gelegene Campingplatz „Eden“ am Nordufer des Iseo-Sees. In den Ferienzeiten ist eine rechtzeitige Reservierung anzuraten. Siehe campingedenpisogne.com
Literatur
Kletterführer Valle Camonica www.kletterfuehrer.net
Kletterführer Valli Bergamaschi www.kletterfuehrer.net
Reiseführer Lago d’Iseo www.medimops.de
Webinfo
www.stadler-markus.de
www.davbs.de
www.outdoor-magazin.com
www.patricia-neuhauser.ch
www.alpenverein.at
www.thecrag.com
www.olli.ch
Bildgallerie
Hallo Pat, dass ist ne tolle Beschreibung der Region. Ist auf jeden Fall ein lohnenswertes Gebiet zum Klettern :-). Die Insel Monte Isola ist mir vom Urlaub auch noch sehr schön in Erinnerung geblieben. Da kann man meines Erachtens zwar nicht klettern, aber sie ist für eine Radtour auf jeden Fall zu empfehlen.