Klettern an der Seebenwand

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Ehrwald hat mich schon immer angezogen, noch bevor es all die neuen Kletterrouten dort gab. Das lag in erster Linie an der gigantischen Wetterwand, die dort dolomitenartig 800 Meter über dem kleinen schön gelegenen Ort emporragt. Die klassische „Wetterkante“ war damals Pfichtprogramm, später wurden die versteckten Gatterlköpfe bekannt, wo die ersten Bohrhakenlinien entstanden. Die Felsqualität ist in der Gegend wettersteintypisch vom Feinsten, was mich 1996 dazu veranlasste meine ersten Routen am „Roten Masten“ einzurichten. Der legendäre „Sani“ (Erstbegeher vom „Bayerischen Traum“ an der Schüsselkarspitze) war dort bereits vor mir zugange und meinte „den wenn i derwisch …“, wie ich später erfuhr. So sans, die Erstbegeher …

In der Zwischenzeit widmete ich mich über längere Zeit dem Gigglstein im Allgäuer Alpenvorland und wollte nun in den Pfingstferien mal was „Langes“ antesten. Werner und ich fuhren völlig planlos nach Ehrwald und ließen uns an der Talstation der Ehrwalder Alm Bahn nieder. Später stellte sich heraus, hier passt einfach alles, was man für einen mehrtägigen Aufenthalt braucht: Toiletten wie im Hotel, Strom für die Akkus und idyllische Parkplätze am rauschenden Bach, um das Bier für den Abend zu kühlen. Allerdings fehlte uns nur noch die passende Wand für unseren Plan. Die Wetterwand? Allein der Gedanke, bereitete uns ein mulmiges Gefühl. Erst mal Nudeln essen und ein Weißbier dazu, so verdrängten wir diese Option …

Ein Abendspaziergang führte mich eher zufällig entlang des touristischen Wasserfall-Rundwegs in die Nähe unscheinbarer Wände. Aus der Ferne sah das alles ziemlich feucht und bewachsen aus, so wird das nix mit unserer Erstbegehung. Egal, wie eine Gams graste ich den linken Wandfuß ab und blieb bei einer kompakten Platte stehen. „Sieht jetzt gar nicht so schlecht aus …“, ohne mir über den weiteren Routenverlauf im Klaren zu sein. Zurück an der Talstation: „Morgen geht’s los, Werner“ meinte ich mehr euphorisch als zuversichtlich. Lassen wir uns überraschen …

Die Platte war gut, da gab es sogar Löcher und Leisten. Mühsam bohrten wir uns bis zum ersten Standplatz. Und wie geht’s jetzt weiter? Langsam wurde mir klar, dies ist kein Klettergarten mehr, da ist Vorstiegsmoral ins Ungewisse gefragt. Sichern mit Normalhaken und Friends, vergiss es … Die Wand entpuppte sich als erstklassige wasserzerfressene Plattenkletterei mit gelegentlichen Verschneidungen in steiler unüberschaubarer Felslandschaft. Aber zum Glück hatten wir ja Urlaub: so dauerte es nun mehrere Tage bis wir nach 7 Seillängen in einer Gufel im oberen Viertel der Wand landeten und uns damit zufrieden gaben.

Wer hätte das gedacht, mit „Welcome to Ehrwald“ hatten wir eine Wand mit viel Potential entdeckt, die Locals wachgerüttelt, die 2 Wochen später mit dem „Latschentango“ ihre erste eigene Linie ad hoc erstbegingen. Jahrelang schlummerte die Seebenwand vor sich hin, bis hier jemand auf die Idee kam. Mein blauer T3 an der Talstation war anschließend in der Szene berüchtigt, mit „Tirol Plaisir“, „Hydrophobie“ und „Brunos letzter Gang“ setzte ich noch drei Touren drauf und überließ den Rest des Kuchens den Einheimischen.

Das Besondere an der Seebenwand sind die darüberliegenden Wiesenteppiche. Sie sorgen nach längeren Regenfällen für eine permanente Feuchtigkeitszufuhr, was die enorme Raugkeit der Felsstrukturen bedingt. Kompakt ist dieser Fels ohnehin, vergleichbar mit dem Oberreintal. Der kurze Zustieg und die gute Absicherung sorgen an schönen Wochenendtagen insbesondere in der „Tirol Plaisir“  mittlerweile immer wieder für Stau. Dafür gibt’s in der darüberliegenden Seebenalm die wohlverdiente Brotzeit. Plaisir ohne Ende …

Und nun noch die Geschichte von der „Blauen Bank“. Da musste eine genaue Wegbeschreibung her. Zu Hause hatte ich noch literweise „Dala-Blu“ (Traditionsfarbe aus Schweden) im Keller stehen und malte am Wasserfall-Rundweg eine alte vergammelte Bank damit an. In der Beschreibung hieß es nun: „Bei der blauen Bank geradeaus durch den Wald, anschließend links usw.“ Wochen später kommt mir beim Zustieg ein Gemeindearbeiter mit einer Motorsäge, einer Schubkarre samt blauen Brennholz-Stücken entgegen. Wenn der gewusst hätte … Es hat nicht sollen sein, der Tiroler Gütesiegel für geprüfte Wanderwege hat’s leider nicht zugelassen. Jahre später rollten die Bagger an und verrohrten den schönsten Teil des Wanderwegs. Ob es den Gütesiegel jetzt immer noch gibt?

Brunos letzter Gang (7-): Schöne abwechslungsreiche Kletterei links des großen Wandausbruchs. Die Route wurde dem Braunbär gewidmet, der damals von der Alpensüdseite über Ehrwald nach Bayern wanderte und dort wegen allgemeiner Gefahr erlegt wurde.

Hydrophobie (7): Die Route führt mitten durch den markanten Wandausbruch. Die anschließende Dachkante wird  A-Null überwunden und leitet in freier Kletterei nach links zum Stand. Danach folgt sehr schöne teilweise messerscharfe Kletterei durch die ganze Wand.

Welcome to Ehrwald (7-): Die erste Seillänge führt über eine Platte sehr elegant auf ein schmales Band. Ein Quergang und eine steile Verschneidung leiten weiter auf einen grasigen Absatz. Nun folgt wasserzerfressene Wandkletterei hinauf bis zu einer Gufel, in der sich das Wandbuch und ein Geo-Cache befinden. Insgesamt eine tolle Route, die keine Wünsche offen lässt.

Tirol-Plaisir (6+): Die leichteste Route an den Seebenwänden befindet sich rechts des Seeben-Klettersteigs. Sehr schön und abwechslungsreich mit excellenter Felsqualität, der Klassiker des Gebiets. Vom Ausstieg kann über ein Fixseil weitergestiegen werden, ein Pfad führt zur darüberliegenden bewirtschafteten Seebenalm.

Topo Schwierigkeit

Für alle Routen ist der 6. Schwierigkeitsgrad obligatorisch. Schwerere Stellen können A-Null geklettert werden.

Absicherung

Sämtliche Routen sind perfekt mit Bohrhaken abgesichert. An den Ständen befinden sich Ketten. Aufgrund des plattigen Charakters erübrigt sich der Einsatz von Keilen und Friends.

Material

Doppelseil, 12 Exen, Abseilausrüstung

Zustieg

Von der Ehrwalder-Alm-Bahn Talstation nach rechts über den Wasserfall-Rundweg hinauf zum Klettersteig. Der Einstieg von „Tirol Plaisir“ wird nach rechts über ein Geröllfeld erreicht. Alle anderen Routen befinden sich links unterhalb des Klettersteigs. Hierfür muss ein Bachbett überquert und ein Stück abgestiegen werden. Von der Talstation ca. 45 min.

Zustieg Abstieg

Generell Abseilen über die Routen. Bei „Tirol Plaisir“ kann auch über den Klettersteig abgestiegen werden. Von der darüberliegenden Seebenalm kann nach links über einen Forstweg und über den Immensteig zur Talstation abgestiegen werden. Eine weitere Alternative sind die „Hohen Gänge“ rechts der Seebenalm, die zurück ins Tal führen.

Topos

Kletterführer Wettstein Süd incl. Mieminger Berge, Panico-Verlag
www.climbers-paradise.com
www.bergprofi.com

 

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