Klettern bei Chiavenna

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Es ist immer wieder das Gleiche: das verregnetete Pfingstwetter ließ uns rätseln, wo es nun hingeh‘n sollte. Schlechte Wetterprognosen für die Pfalz, das gleich galt für die Alpensüdseite. Der Lutz meinte, irgendwo dazwischen könnte sich die Sonne doch noch zeigen und versuchte sein Glück in Lecco. Wir folgten seiner vagen Vermutung und packten sämtliche Kletterführer ein, die uns auf der Achse Allgäu – Comer See nützlich sein konnten …

So tingelten wir durch’s schweizerische Rheintal Richtung Bernardino hinauf und hielten bei einem der zahlreichen Klettergärten unweit der Autobahn an. Nach einem ausgedehnten Besuch in der „Broch‘nen Burg“ ging es dann weiter auf den Splügenpass, der idealen Location für ein geruhsames Nachtquartier. Am nächsten Morgen strahlender Sonnenschein, ein ausgedehntes Frühstück mit Blick auf die in der Ferne bereits leuchtenden Bergeller Felsgestalten. Ein wahnsinns Ambiente ist das hier, wir wollten nicht mehr weg, doch es half nichts, wir mussten weiter. Marion setzte sich auf’s Bike und düste die 37 Kilometer bzw. 1700 Höhenmeter nach Chiavenna hinab. Spätestens jetzt hatte der Urlaub spürbar begonnen …

Und wieder ist es das Gleiche: der Splügenpass mit seinen ausgedehnten Almlandschaften, dem gleichnamigen See, unzähligen Haarnadelkurven und den wild verstreuten Rusticos versetzten uns wie immer in eine andere Welt. Etwas tiefer dann die ersten Siedlungen, leuchtende Blumengallerien auf den Treppen, daneben die noch verbliebenden Greise auf den Bänken ihrer alten Steinhäuser sitzend. Weiter abwärts mutieren die Siedlungen zu ursprünglichen Dörfern: Alimentari, Bar und Tabacci empfingen uns in Bella Italia. Gleich darauf Vho mit dem größten Klettergarten im Valchiavenna. Ein Narr, wer hier nicht anhält und das Seil auspackt. Die Luft wurde immer schwüler, Scheiben runter, wenig später links die ersten Mehrseillängen-Gebiete: Palm Beach, Placca di Bette und wie sie alle heißen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir schließlich das tiefgelegene Chiavenna auf 333 Meter Meereshöhe.

Mit dem Comer See wurde es dann doch nichts. Der Campingplatz bei Acquafraggia war einfach zu gut, der Kletterführer prall gefüllt, und das Wetter spielte auch ordentlich mit. Zwar gab es abends einige Wärmegewitter, und die fallen an der Wetterscheide Nord-Süd ziemlich heftig aus, was der Gegend eine besondere Note verleiht. Lutz kam mit seiner Freundin später noch zu uns herauf, in Lecco war es einfach zu heiß zum Klettern …

Chiavenna, das 7500-Seelen-Dorf am Knotenpunkt Maloja-Splügenpass hat mich wie immer in den Bann gezogen. Es hat an Ursprünglichkeit nichts eingebüßt und ist vom großen Tourismus weitgehend verschont geblieben. Mitten durch den Ort fließt die reißende Mera, tiefeingeschnitten durch die Felsen gegraben. Allein dieser Anblick fasziniert mich immer wieder auf’s Neue. Darüber die engen Gassen mit den zahlreichen Restaurants, Bars und Eisdielen verleihen dem Ort den wohltuend südländischen Flair. Auf dem Campingplatz trafen wir ein österreichisches Paar, die sich in der Gegend ein Rustico kaufen wollen. Ich wurde fast schon neidisch und wäre gleich dabei …

Die Klettergebiete: der Führer „Valchiavenna Rock“ umfasst 400 Seiten, das sollte für einen mehrtägigen Aufenthalt reichen. Rund um Chiavenna incl. Seitentäler gibt es zahllose Sportkletter- und Mehrseillängen-Gebiete. Charakteristisch ist der kompakte, grobkörnige Gneis mal mehr oder weniger aufgesteilt. Die Zustiege sind meist kurz, die Linien überschaubar und die Absicherung meist plaisir. Der Campingplatz-Besitzer von Acquafraggia hat den Klettersport in der Gegend maßgelblich vorangetrieben und sogar einen eigenen Führer darüber geschrieben. Ein netter Mensch ist das, und gibt jederzeit gerne Auskunft über die Routen.

Hauptmagnet sind sicher die Wasserfälle von Acquafraggia, unweit des Campingplatzes. Über 100 Meter hoch, mit brachialer Gewalt feinzerstäubend, ein touristisches Highlight mit Liegewiesen darunter. Am Rande der Cascaden befinden sich kurze oder lange Routen und man wird es wohl kaum verpassen, nach dem Klettern in’s kühle Nass einzutauchen. Danach widmet man sich dem Cappucino, laut Güllich ein wesentlicher Bestandteil des Kletterns, und der Führer wird erneut aufgeschlagen. Nach dem Klettern ist vor dem Klettern, so fühlt sich Urlaub an. Ideal für Familien, Kurse oder Leute, die den nahegelegenen Badile schon hinter sich haben …

Eine kleine Auswahl der Klettergebiete

1. Vho
Der größte Klettergarten im Val Chiavenna. Ca. 120 Sportkletter-Routen an der alten Splügen-Pass-Straße. Es gibt auch Mehrseillängen-Routen unterhalb der Straße. Kurzer Zustieg, sehr kompakter Fels mit gesprengten Löchern. Schönes Ambiente, sehr sonnig gelegen. Sehr lange und interessante Routen in steiler Wand. Absolut empfehlenswert. Ideal für den Anreisetag Richtung Chiavenna.

2. Palm Beach
Weitläufiges Gebiet mit mehreren Sektoren. Ca. 25 Klettergarten- und Mehrseillängen-Routen. Hauptsächlich moderate Schwierigkeiten. Kurzer Zustieg von der Splügen-Pass-Straße, landschaftlich schön gelegen. Der „Spigolo della Paletta“ ist einfach und sehr beliebt. Die Tour wurde mittlerweile von 6 auf 22 Seillängen erweitert. Das Topo ist beim Campingplatz-Betreiber Guido erhältlich.

3. Placca di Bette
Ca. 20 Mehrseillängen-Routen über der Splügen-Pass-Straße. Überwiegend Plattenkletterei. Leichte bis mittelschwere Routen. Schöner, rauer Gneis mit Noppen und Chickenheads. Was den Fels betrifft, sehr empehlenswert.

4. Placca di Mese
Ca. 25 Mehrseillängen-Routen in verschiedenen Sektoren. Überwiegend Plattenkletterei. Viele leichte Routen, die für Anfänger geeignet sind. Der charakteristische Gneis ist sehr rau.

5. Era
Auch Placca di S. Andrea genannt. Typisches Plaisir-Gebiet mit 3 schönen Routen bis zu 7 Seillängen lang. Hauptsächlich Plattenkletterei mit kurzen Aufschwüngen. Mitten durch die geneigte Plattenflucht zieht eine fotogene Cascade. Landschaftlich sehr schön gelegen. Für Mehrseillängen-Fans absolut empfehlenswert. Die Routen wurden mittlerweile mit 2 Seillängen nach oben hin erweitert.

6. Sasso Bianco
Einer der ältesten Klettergärten bei Chiavenna. Der kompakte Granit bietet ca. 50 Routen mit einer Länge von bis zu 4 Seillängen. Es handelt sich hauptsächlich um Platten mit Rissen und Verschneidungen. Das Felsmassiv befindet sich direkt an der Straße in einer waldreichen Umgebung. Ideales Granit-Trainingsgelände mit Mehrseillängen-Charakter. Landschaftlich sehr schön gelegen und absolut empfehlenswert.

7. La Ciclabile
Relativ neuer Klettergarten am Radweg bei Prosto. Kurzer Zugang zum Bereich eines Straßentunnels. Ideal bei großer Hitze, da nordseitig gelegen. Geneigte Platten und steile Wandkletterei. Leichte und schwere Routen. Bei Anfängern und Kursen beliebt. Der Klettergarten kann mit dem Bike vom Campinplatz aus erreicht werden. Insgesamt ca. 40 Routen.

8. La Mezzera
Sportkletter-Sektor rechts der beiden Wasserfälle von Acquafraggia. Es gibt insgesamt 36 Routen, überwiegend in den oberen Graden. Tolle Felsqualität mit technischen Routen. Ein kleiner Block bietet auch Routen für Kinder und Anfänger. Kurzer Zustieg in der Nähe des Wasserfalls.

9. Acquafraggia
Insgesamt ca. 40 Sportkletter- und Mehrseillängen Routen. Im Bereich des rechten Wasserfalls gibt es sehr schöne lange Routen in den mittleren Graden. Hervorzuheben sind die „Brasil“ und „Mamma Mia“, beides Klassiker des Gebiets. Brasil: links vom rechten Wasserfall. Einstiegsplatte, die sich immer mehr aufsteilt, danach sehr steile Wandkletterei. Sehr schön, aber auch anspruchsvoll, 6a+ obligatorisch, zwingende Kletterpassagen, schwarzer Fels mit silbernen Einlagen, sportliche Absicherung, sehr empfehlenswert. Abstieg nach links über den Wasserfallweg. Mamma Mia: unmittelbar rechts des rechten Wasserfalls. Schöner schwarzer Fels mit großen Henkeln, gelegentlich glatte Dellen, im Führer human bewertet (5c obligat.), bequeme Stände, tolles Ambiente, kurzer Zustieg, Abstieg nach links über den Wasserfallweg. Absolut lohnend, Pflichttour bei Acquafraggia.

10. Sasso del Drago
Alter, klassischer Klettergarten, direkt an der Maloja-Pass-Straße gelegen. Es gibt 2 Sektoren die übereinander liegen. Wegen des kurzen Zustiegs sehr beliebt. Insgesamt ca. 80 Sportkletter-Routen in allen Schwierigkeitsgraden. Überwiegend leichte und mittelschweren Routen. Südseitig gelegen, der Fels trocknet schnell ab. Ideal bei unsicherem Wetter. Absolut empfehlenswert.

Zu- und Abstiege
Die Felsen sind oft in wenigen Minuten von der Straße aus bequem erreichbar. Ausgetretene Pfade weisen den Weg. In den Mehrseillängen-Routen kann meist abgestiegen werden.

Absicherung
Die meisten Routen sind perfekt mit Bohrhaken ausgestattet. In wenigen Trad-Routen werden Friends gebraucht.

Ausrüstung
Für die meisten Routen reicht ein 70-Meter-Sportkletterseil. 12 Exen, Keile und Friends sind kaum erforderlich.

Chiavenna
Sehr schönes Dorf mit südländischem Flair. Mitten durch die Häuser fließt ein malerischer Gebirgsfluss. Es gibt gute Restaurants, Bars und Eisdielen. Der Ort ist bisher vom Massentourismus verschont geblieben.

Ein paar Sehenswürdigkeiten

  • Savogno, ein altes Bergbauerndorf, hoch über Acquafraggia gelegen. Das Dorf lässt sich im Anschluss nach einer Klettertour in einer guten halben Stunde erreichen.
  • Die markanten Wasserfälle bei Acquafraggia locken zahlreiche Besucher an. Unter den Cascaden befinden sich Liegewiesen, die zum Picnic einladen. In wenigen Minuten vom Campingplatz aus erreichbar.
  • Über Chiavenna befinden sich die „Marmitte dei Giganti“. Es führt ein schöner Wanderweg zu den alten Gletschermühlen hinauf. Von Ciavenna ca. 45 Minuten.

Campingplatz Acquafraggia
Der geeignete Ausgangspunkt für die Kletterrouten bei Chiavenna. Sehr schön in der Nähe der Wasserfälle gelegen. Ideal für einen mehrtägigen Aufenthalt. Die Kletterfelsen bei Acquafraggia sind in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar. Der Campingplatz-Besitzer ist selbst Erschließer zahlreicher Routen bei Chiavenna und gibt gerne Auskunft darüber. Der Kletterführer „Chiavenna Rock“ wurde von ihm geschrieben und ist bei der Rezeption erhältlich.

Topos
Kletterführer Valchiavenna Rock www.versantesud.it
Kletterführer Valchiavenna Rock www.kletterfuehrer.net
Schweiz Plaisir Ost, Band 1 www.kletterfuehrer.net

Webinfo
www.campingacquafraggia.com
www.alpenverein.at
www.sac-cas.ch
klettersite.wordpress.com
mdettling.blogspot.com
www.outdooractive.com
www.outdooractive.com
auf-guten-wegen.blogspot.com

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3 Gedanken zu „Klettern bei Chiavenna“

  1. Fritz Amann hat mich angeschrieben (Danke für die Info):

    Servus Peter,
    die “Spigolo della paletta” in Chiavenna ist länger geworden. Wäre nett, wenn du das auf deiner Homepage ändern könntest (nicht mehr 6, jetzt 22 Sl, siehe Topos beim Guido vom Camping).

    VG Fritz

    Antworten

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