Vor gut einer Woche rief mich einer aus Philipp’s Filmteam an und wollte den Kontakt zu seinen Eltern. Warum, wieso? Im gleichen Moment begann mein Herz zu rasen, wenig später erfuhr ich, dass Philipp am Wetterwandeck abgestürzt ist. Ich kann’s einfach immer noch nicht glauben …
Wir kannten uns schon sehr lange. In der Schule hatte ich ihn in Textverarbeitung, wir übten das Tastschreiben bis zum „Geht-Nicht-Mehr“ und verloren uns in den Pausen immer wieder in Fantasien über’s Bergsteigen, Klettern und Skifahren. „Mc Blackman, lass uns heute Nachmittag zum Grauen Stein gehen …“ So waren wir nach dem Unterricht öfters an den heimischen Felsen unterwegs und der junge Teenager steckte mich damals schon in die Tasche. Am Ende seiner offiziellen Schulzeit meinte Philipp: Hey Alter, soll ich die 10. Klasse freiwillig wiederholen? Das wär doch klasse, dann hätten wir noch eine tolle Zeit zusammen …
Doch es verschlug ihn nach München zur Ausbildung als Sport- und Fitnesskaufmann. Jeder, der ihn kannte, „fand’s nicht so toll“, um seinen Jargon zu gebrauchen. So verloren wir uns eine zeitlang aus den Augen, bis er wieder im Allgäu auftauchte. Die Freude war groß und wir machten wieder was zusammen. Dabei erinnere ich mich besonders an ein Mehrseillängen-Wochenende in den Tannheimern, bei dem er ein beliebte Guide war und für gute Stimmung sorgte.
Irgendwann vermachte ich ihm meine alte Hilti und er begann seine ersten Routen unter der Gaichtpass-Brücke zu erschließen. 8. bis 9. Grad versteht sich, und es dauerte nicht lange bis er alles rotpunkt kletterte. Später verschlug es ihn an den Vilser Steinbruch, verpasste einem ganzen Wandbereich 10 neue Linien mit ähnlichen Schwierigkeiten. Eine zeitlang war er dann der Hausmeister vom Hirschtobel, einem entlegenen Klettergarten am Oberjoch. Und ganz nebenher fand er noch die ein oder andere Linie am Grauen Stein …
Wer macht sich mit Anfang 20 schon die Mühe und sucht in seiner Freizeit nach jungfräulichem Fels, während die Szene beharrlich ihre 10er projektiert? Einen 10er hatte er auch ohne intensives Training drauf. Philipp war einer der wenigen Individualisten, die immer wieder nach neuen Herausforderungen suchen: Sei es im Fels oder irgendwelche Steilwand-Rinnen, die er im Winter mit den Skiern abfuhr. „Zöpfle fahren, ist doch langweilig“, wie er einmal behauptete. So gelangen ihm u. a. Abfahrten über die Nebelhorn- oder Hochfeiler-Nordwand, gut 50 Grad steile Wände, wo andere mit dem Seil hochklettern …
Es war nur logisch, dass Philipp in der Kletter- bzw. Outdoorbranche künftig sein Geld verdienen würde. So zog es ihn unter anderem nach El Chorro, wo er 3 Monate in der “Climbing-Lodge” als Kletterlehrer arbeitete. Wieder zurück, schraubte er in Kletterhallen, gab Kurse und gründete gleichzeitig mit ein paar Freunden die Allgäuer Kletterschule „Vertical Friends“. Das Geschäft lief gut an, dazwischen tingelte er auch öfter durch die heimischen Klettergärten, um für den DAV zu arbeiten.
Doch da waren auch immer wieder seine Projekte, die ihn beschäftigten. 2022 stieg er in 33 Stunden nonstop über die Allgäuer Grate der Höfats, dem Großen Wilden, Fuchskarspitze, Hochvogel und zuletzt über die Trettachspitze nach Einödsbach hinab. Dazu die An- und Rückfahrt mit dem Bike Richtung Kempten. Noch im gleichen Jahr folgten ein paar kühne Solos am Oberjoch und in den Tannheimern, er hatte alles immer fest im Griff. Am Gaichtpass suchten wir zusammen wieder nach neuen Linien und wurden fündig. Außerdem planten wir einen 24-Stunden-Kletter-Marathon auf all meinen Routen an der Zwerchwand und am Gimpel-Vorbau. Philipp, da hätte ich nie mithalten können … Und er trainierte bereits für den Wettersteingrat: 75 Kilometer und 7000 Höhenmeter nonstop …
Philipp lief zu Hause stundenlang auf dem Laufband, wurde von einem Physio-Therapeuten betreut und unternahm nachts Bergläufe durch die Allgäuer Voralpen. Im Sommer 2023 schaute er sich dann konsequent die einzelnen Etappen der Reihe nach an, zuletzt den hufeisenförmigen Grat zwischen der Zugspitze und dem Gatterl und zurück. Im Bereich des Wetterwandecks seilte er dann zum Platt ab, um auf direktem Weg zurück zur Zugspitze zu gelangen. Dabei brachen ihm zwei Abseilhaken aus …
Bereits dreimal habe ich nach den Besteigungen der Wetterkante in diesem Bereich schon an Schlingen oder Normalhaken abgeseilt und das Zeug hat immer gehalten. Hatten wir immer nur Glück? Trotz seiner Erfahrung hatte Philipp in diesem Moment buchstäblich Pech, was immer da schief gelaufen ist. Der Wettersteingrat war jedenfalls nicht das Problem, den hatte er locker drauf gehabt. So wie ich ihn kannte, war er stets bedacht und richtete seine Routen vorbildlich ein. Beim Klettern war er ein Phänomen und hatte den Schwierigkeitsgrad stets im Griff …
Warum sind wir nun alle so geschockt und unendlich traurig? Philipp zählte zu den nettesten und natürlichsten Menschen, die mir jemals begegnet sind. Seine offene und positive Art war etwas ganz Besonderes, wie man es nur bei Wenigen erlebt. Trotz seiner Leistungen war er nie davon vereinnahmt und er lebte seine Fröhlichkeit stets weiter. Egal, wem er begegnete, auch wenn es nur ein Anfänger am Fels war. Mit dem stieg er dann auch in eine banale 3er-Tour ein. Anders als diejenigen, die sich nur für Schwierigkeitsgrade oder vielleicht noch für den Sicherungspartner interessieren möchten …
Meine aktuellen Projekte sind bei der Ehrwalder Alm jenseits der Absturzstelle. Nie wieder werde ich unbeschwert in meinem Lieblingsgebiet unterwegs sein. Aber Philipp, du bekommst eine fette Tour von mir gewidmet, wir werden dich nie vergessen …
Bildgallerie
eine würdige Hommage an einen ganz besonderen Menschen. Vielen Dank, dass Sie Ihre Erfahrungen mit Philipp geteilt haben.