Bereits 1919 erstbegangen, hat die Tour nun schon über 100 Jahre auf dem Buckel. Die mächtige Südwand der Roten Flüh bietet nur wenige moderate Anstiege, ihre Südwestwand-Führe im 4. bis 5. Grad ist da jedoch etwas leichter. Sie wurde von zahlreichen Seilschaften schon durchstiegen und gilt deshalb als Klassiker in den Tannheimer Bergen. Michael Pause hat sie Mitte der 1980er-Jahre sogar in sein Buch „Im Schweren Fels“, den schönsten mittelschweren Kletterrouten der Alpen, mit aufgenommen.
Die Tour folgt, so wie es in der Gründerzeit noch üblich war, den natürlichen Linien bzw. dem Weg des geringsten Widerstands. Deshalb klettert man oft durch Kamine, Verschneidungen oder entlang von Quergängen und Bändern, um die glatten Wände zu umgehen. Dabei gibt es immer wieder fotogene Kletterpassagen, allen voran eine plattige Hangeltraverse – auf den ersten Blick respektvoll steil – die sich jedoch mit etwas Gespür wunderbar auflöst. Gleich darauf trifft man auf das berühmte A1-Wändchen, das den damaligen Erstbegehern den Weg in einfacheres Gelände ermöglichte. Die Stelle wird bei vielen Kletterern mit Spannung erwartet: mit Trittschlingen und „B‘scheißer-Exen“ lässt sie sich – wenn auch etwas mühsam – gut gesichert überwinden. Ebenso der markante Pfeiler im oberen Drittel bleibt in guter Erinnerung – auch wenn man mal etwas weiter vom letzten Haken wegsteigen muss …
Insgesamt gibt es in der Route viele schöne Klettermeter – teils klassisch geprägt oder plaisirverdächtig angehaucht. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Fels kompakt und gut abgeklettert. Die vielen Kletterjahre hinterließen jedoch auch ihre Speckspuren, sodass manche 5er-Passagen mittlerweile Richtung 6 tendieren. Dies schadet dem Spaß in der schönen Südwestwand-Führe jedoch kaum …
Anfang der 1990er-Jahre stürzte in der Tour nach Ausbruch eines Normalhakens eine Dreier-Seilschaft ab. Dies war der Beginn einer groß angelegten Sanierungswelle in den Südwänden der Tannheimer Berge. Die Standplätze wurden mit Muniringen ausgestattet, in den exponierten Passagen Klebehaken gesetzt. Der Initiator Toni Freudig stieß jedoch bald darauf auf heftigen Widerstand: die Bohrhaken wurden von den Locals entweder umgeschlagen oder abgeflext. Der Bohrhakenkrieg dauerte eine Weile an, bis sich die Wogen schließlich wieder glätteten …
Man kann dem Toni nichts vorwerfen, die Routen wurden aus heutiger Sicht damals sanft saniert. Haken befinden sich nur an den wirklich gefährlichen oder exponierten Passagen, und so ist es auch in der Südwestwand: wem die Hakenabstände zu weit sind, findet immer wieder Gelegenheit, Keile oder Friends zu legen. Und sogar die Orientierung lässt sich durch genaues Lesen des Topos gut bewältigen …
Schwierigkeit
Überwiegend im 3. bis 5. Schwierigkeitsgrad. Abgespeckte Passagen können auch etwas schwieriger sein. Das A1-Wändchen kann an mehreren Bohrhaken gut technisch überwunden werden.
Absicherung
Ringhaken an den Ständen, Zwischenhaken an den schwierigen Passagen. Dazwischen können immer wieder Keile und Friends gelegt werden. In der Gipfelwand sind keine Haken vorhanden, sie muss mit Keilen und Friends abgesichert werden.
Ausrüstung
Einfach- oder Doppelseil, 10 Exen, Keile und Friends, Schlingen für die Standplätze und A1-Passage.
Orientierung
1. Seillänge
Am südwestlichen Vorbau (links der letzten Gedenktafeln) wenige Meter absteigen. Am besten seilt man sich gleich an, da es am ersten Stand eng wird. Über grasige Schrofen unter einer bauchigen Wand diagonal rechts haltend auf den Pfeilerkopf hinauf (ca. 30 m, 2-).
2. Seillänge
Man folgt der plattigen Rampe diagonal nach rechts zum Beginn des markanten Kamins (ca. 45 m, 5 -).
3. Seillänge
Durch den Kamin an dessen Ende (ca. 35 m, 4+).
4. Seillänge
Durch die glatte Verschneidung auf den Pfeilerkopf. Hier über eine ausgesetzte Platte mit Hangelgriffen queren. Über Schrofen weiter zu einem breiten Band hinauf. Stand an einer dicken Sanduhr am Boden (ca. 35 m, 5+)
5. Seillänge
Auf dem Band nach rechts, nach ein paar Metern kurz absteigen und auf ein weiteres Band hinauf. An der linken Wand befindet sich ein Ketten-Standplatz. Für die nächste Seillänge ist es jedoch günstiger bei der wenige Meter entfernten Sanduhr Stand zu beziehen (ca. 15 m, 2+)
6. Seillänge
Eine kurze Wandstufe wird in technischer Kletterei überwunden. Man gelangt zu einem exponierten Standplatz mit Ringhaken (ca. 20 m, A1 bzw. 4+)
7. Seillänge
Diagonal rechtshaltend zu den Latschen hinauf. Der Standplatz befindet sich darüber am Beginn eines markanten Pfeilers (ca. 30 m, 3+).
8. Seillänge
Über den plattigen Pfeiler geradeaus empor (ca. 30 m, 5-)
9. Seillänge
Über senkrechte Absätze, später linkshaltend über den Grat zu einem kleinen Plateau. Der Standhaken befindet sich rechts an einem kleinen Wändchen direkt am Plateau ca. 30 m, 3+).
10. Seillänge
Vom Plateau kann über den darüberliegenden Friedberger Klettersteig weiter zum Gipfel aufgestiegen werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, über die Gipfelwand weiter zu klettern: ca. 20 Meter Richtung Klettersteig hinauf, dann rechtshaltend in die Gipfelwand hinein. Hier befinden sich keine Haken, die Stände und Zwischensicherungen müssen mit Keilen und Friends eingerichtet werden. (ca. 30 m, 4-)
11. Seillänge
Über schrofige Kletterei weiter zum Gipfel (ca. 20 m, 2+)
Ausgangspunkt
Nesselwängle im Tannheimer Tal. Der Parkplatz befindet sich am westlichen Ortsrand. In 1,5 Stunden entlang der Beschilderung hinauf zum Gimpelhaus.
Zustieg
Vom Gimpelhaus zunächst Richtung Gimpelkar. Nach ca. 50 Meter führt bei einer Bergwacht-Hütte ein Pfad nach links zum Hochwiesler hinauf. Man quert die ganze Südwand nach links bis die Rote Flüh erreicht wird. Hier noch ein gutes Stück weiter und bis zum südwestlichen Vorbau hinauf. Der Einstieg befindet sich weniger Meter links absteigend (links der letzten Gedenktafeln).
Abstieg
Über den Normalweg der Roten Flüh zurück zum Ausgangspunkt. Ca. 45 Minuten.
Übernachtung
Auf dem Gimpelhaus www.gimpelhaus.at
Die Tannheimer Hütte befindet sich seit 2023 im Neubau.
Topos
Kletterführer Allgäu incl. Tannheimer Berge www.panico.de
Webinfo
www.climbers-paradise.com
www.hikr.org
bergstille.de
Bildgallerie