„Zwischen den Toren“ am Schneefernerkopf bei Ehrwald

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„Longlines“ – das neue Schlagwort in der Kletterszene. Seit Erscheinen des gleichnamigen Buches von Adi Stocker gibt man sich mit einer banalen Tannheimer-Tour an einem schönen Sommertag nicht mehr zufrieden. Nein, es muss schon was Langes sein, also 20 Seillängen +, um mitreden zu können. So ändern sich die Zeiten beim Bergsteigen …

Wir begannen unseren Kletterurlaub am Zugspitzmassiv, genauer gesagt, am benachbarten Schneefernerkopf. Nachdem wir die Wetterkante und die Aquaria an der Plattspitze schon mehrmals durchstiegen hatten, war es Zeit für etwas Neues: „Zwischen den Toren“, überhalb von Ehrwald. Bei der stabilen Wetterlage Anfang August sollte nichts schief gehen, beste Bedingungen für eine Longline …

Die Westseite des Zugspitzmassivs war uns allerdings völlig neu. Alle Zustiegsbeschreibungen am besten in die Tonne treten. Wenigstens ist der Einstiegsbereich vom Tal aus genau einzusehen, so bastelten wir uns unseren Aufstieg selbst zurecht. Am nächsten Morgen starteten wir um 4 Uhr in Ehrwald. Über die Piste des Wettersteinlifts, einem Bachbett und weiteren Schrofen-Querungen gelangten wir in zwei Stunden punktgenau zum Einstieg mit der Coladose. Und wir waren nicht alleine. Hier oben auf knapp 2000 m Höhe über der Baumgrenze scheint sich eine Schafherde den Sommer über mit Schmelzwasser, Grashalmen und Geröll besonders wohl zu fühlen …

Gleich zu Beginn gab‘s schon mal das sogenannte „Testwandl“. 6 -, wer das nicht schafft, kann laut Topo gleich wieder abseilen. Die weiteren 15 Seillängen genüsslich im 4 – 5 Grad, schöner Fels, gut gesichert. Doch langsam nahm der Grusel seinen Lauf. Plötzlich gab’s keine Haken mehr, null Orientierung, keine Stände. Bruch, soweit das Auge reicht, das Topo zum Einheizen geeignet. Es half nichts, wir mussten eine Wandstufe im 5. Grad hakenlos empor, einfach der logischen Linie folgend. Stände improvisieren und wieder weiter … Irgendwie sind wir doch noch am überdimensionalen Wandbuch angekommen, was für eine Überraschung. Das Eisen für den 5-Kilogramm-Behälter hätte man die letzten Seillängen auch sinnvoller einsetzen können.

Und ab in die Schlüsselseillänge. Frei 7-, 6 obligatorisch, sportliche Hakenabstände auf einer glatten Platte. Nach oben hin werden die Seillängen immer länger, die Orientierung immer schwerer, die Haken immer weniger. Eine lange Verschneidung sollte laut Topo nach rechts verlassen werden, nur bitte wo? Wiedermal haken- und orientierungslos über eine brüchige Rampe und mit viel Glück an einen Stand geraten. Von hier aus hätte es in einer 60-Meter-Seilänge im 6. – 7. Grad zum Ausstieg gehen sollen, die Erstbegeher waren anscheinend in Eile. Wir halbierten die Länge an einem Zwischenhaken unterhalb eines zerfledderten Fixseiles, das im Nebel vom Ausstieg gespenstisch herunterhing. Nun konnte es ja nicht mehr weit sein …

Zum Glück kannte ich mich auf dem Schneefernerkopf aus, im Winter geht’s hier zur Abfahrt durch die „Neue Welt“. Im Nebel durch eine Steinwüste zum alten Lifthaus hinauf, und über den restlichen Gletscher hinab zum Restaurant Sonn-Alpin auf dem Zugspitzplatt. Durch Zufall spürte uns ein Bediensteter der Zugspitzbahn auf, er sperrte die Kapelle zu, und nahm uns mit zur letzten Fahrt fürs Personal hinunter zum Eibsee. Von dort mit der Bahn zurück nach Ehrwald …

Fazit: 25 Seillängen, 30 Begehungen in 10 Jahren, der Plaisir-Kletterer wird auf die Probe gestellt. Nach oben hinaus willkürliche Absicherung mit Bohrhaken, Keile und Friends können zur Beruhigung mitgenommen, aber selten eingesetzt werden. Vielleicht gerade deshalb ist diese Tour ein großes Abenteuer, die man nur einmal macht …

Topo: Ab Frühjahr 2016 erscheint der neue Panico-Kletterführer „Wetterstein-Süd“, in dem die aktuellsten Routen rund um Ehrwald beschrieben sind. Ansonsten „Longlines“ von Adi Stocker, Panico-Verlag oder www.bergprofi.com, wo alle Ehrwald Routen aufgelistet und beschrieben werden.

Zustiegsbeschreibung: Bild
 

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2 Gedanken zu „„Zwischen den Toren“ am Schneefernerkopf bei Ehrwald“

  1. Am 16.07.22 waren wir die 2. Seilschaft dieses Jahr.
    Die Kommentare von den Greiners sind meiner Meinung nach alle korrekt!
    Die Tour bekommt von mir trotzdem 5 von 5 Sternen, da insgesamt großartig 😉

    Aufstieg: beim rechts raus Queren auch noch die 2. Rippe queren!
    Ansonsten:
    10 untere SL: Wirklich schöne Kletterei, rel. gut gesichert
    10 mittlere SL: Obwohl wir nicht zimperlich sind, haben wir alles gesichert, da der Bruch etwas unkalkulierbar ist. Die “150m Gehgelände SL” klettert man wie von Greiners gut beschrieben links durch einen brüchigen Kamin an (NH), dann rechts raus und nach 10 m links wieder aufwärts (brösliger 3er für die nächsten 50 m etwa, an Engstelle weiterer NH). Geht ganz gut, ist aber bisserl unangenehm, da man nie weiß, ob man richtig ist. Wir sind am verkürzten Seil gleichzeitig gegangen.
    SL 21-24: Oben raus wird die Tour knackiger, größere Hakenabstände und SL21 anhaltend schwer. Verlassen der Rinne in SL22 nach dem (6.?) naja letzten BH ist erstmal psycho, geht aber, sobald man mal draußen steht ;-). 15 m unterm Gipfel gerade über die Platte hoch und keinesfalls rechts zu einer fraglichen Schlinge…

    Wir haben mit Zeit lassen am Schluss 7,5h gebraucht.

    Gruß Holger Molzberger und der Igerl

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  2. Wir kletterten die Tour am 22. August 2017 und möchten Wiederholern folgende 2 Tipps geben:
    1. Der Zustieg
    Der geht am besten, wenn man am Ende des Schotterfelds (das man, rechts abzweigend vom Weg zur Neuwienerhütte, quert) so weit wie möglich nach oben steigt und erst dort, wo der Weiterweg zu steil würde, auf Trittspuren nach rechts quert. (Statt schon weiter unten zu queren, da gibt es auch einige Pfade)
    2. Nach der 18 Seillänge
    kommt erst ein steiles Schotterfeld (Gehgelände), bevor man über dieses den nächsten Felsaufschwung erreicht, der einen (als solchen zu erkennenden) Vorbau darstellt. Einen Standhaken sucht man hier vergeblich. Man findet dann noch relativ leicht linker Hand die Verschneidung mit einem Normalhaken – wobei das Anklettern ohne Standhaken unter sich nicht so lustig ist, und der Normalhaken selbst ist auch nicht so toll -, danach aber kommt kein Haken mehr, bis man nach ca. 110m das Ende der rechter Hand befindlichen (zunächst nicht sichtbaren) Schlucht bzw. den nächsten Stand (vor Seillänge 21, mit Wandbuch) erreicht. Laut Stocker (long lines) Topo soll es in diesen Seillängen 19 und 20 Bohrhaken, Normalhaken und einen Biwakplatz geben – von alledem haben wir nichts gesehen. Wir verließen die erwähnte Verschneidung an deren Ende leicht rechts haltend und fanden ca. 30 m darüber eine um ein großes Köpfel gelegte Schlinge, die uns als Stand diente. Man sieht diese Schlinge übrigens nicht gleich vom Ende der Verschneidung aus, sondern erst, wenn man einige Meter (ohne jede Sicherung) weiter geklettert ist. Von dieser Standschlinge aus ging es “immer der Nase nach” ca. im 4. Schwierigkeitsgrad nach oben; ab und zu konnten Keile gelegt werden, der Seilzug am Ende war enorm. Am Ende dieses Felsaufschwungs neigt sich das Gelände und man sieht man den Stand mit Wandbuch, aber unser 60-m-Seil reichte nicht bis dorthin. Es reichte zum Glück gerade noch bis zu einen Felskopf, über den ich die letzten 2 m Seil als Standschlinge legen konnte. Sonst hätte ich nicht gewusst, wie ich meine Seilzweite hätte sichern sollen. Dieser Teil war, vor allem weil in dieser Weise unerwartet, kein reiner Spaß.
    David und Sabine Greiner, Tübingen

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