Ein Allgäuer Schrauber erzählt aus seinem Leben …
Jan, das waren noch Zeiten, als wir uns beim Sportklettern getroffen haben. Ich glaube, es war in Finale. Damals warst du noch sehr jung und bist die Routen regelrecht raufgeflogen. Bist du eigentlich immer noch am Fels unterwegs?
Ja, das ist ganz schön lange her und das waren wirklich tolle Zeiten. Das war ein echtes Privileg, mit euch “alten Hasen“ aus der Kletterszene klettern zu dürfen. Das ist jetzt bald 30 Jahre her und damals wie heute ist es für mich das Schönste, draußen am Fels unterwegs zu sein.
Was sind eigentlich deine Lieblingsgebiete?
Meine Lieblingsgebiete kenne ich vielleicht noch gar nicht. Das heißt, ich lerne gerne Gebiete kennen, wo ich noch nicht war. Da gibt es bei uns im Alpenraum noch so viel für mich zu entdecken. Aber ich geh zum Beispiel immer noch sehr gerne nach Finale. Die Granitgebiete in der Schweiz und in Tirol besuche ich regelmäßig zum Bouldern, genauso wie zum Klettern. Mein liebstes Bouldergebiet ist aber Fontainebleau. So ein Ausmaß an tollen Linien in allen Schwierigkeitsgraden, da wird’s mir vermutlich niemals langweilig.
Haben Alpine Kletterrouten bei dir auch jemals eine Rolle gespielt?
Die Alpine Kletterei fasziniert mich schon immer sehr. Ich durfte ja in jungen Jahren die spannenden Geschichten von euch aus erster Hand hören. Mein Erfahrungen und meine Ambitionen sind beim Alpinklettern eher gering. Aber es gibt durchaus Routen die mich da reizen würden. Talnahe Mehrseillängen klettere ich dafür sehr gerne und regelmäßig. Auch für‘s Tradklettern hab ich die letzten Jahre Begeisterung gefunden.
Heutzutage sehen wir uns oft in der Dietmannsrieder Halle. Ich beim Klettern, du beim Schrauben. Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Routen einzuschrauben?
Als Kind hat mich der Routenbau in der Kletterhalle bereits interessiert. Damals durfte ich schon mit sehr jungen Jahren meine erste Route in Seltmanns schrauben. Da kann ich mich immer noch ganz gut dran erinnern. Das waren die legendären selbstgebauten grauen Griffe und die Route war ziemlich schwer. Mit der Eröffnung vom Kletterturm in Kempten bin ich damals in das Routenbauteam mit “reingerutscht“ und konnte da über mehrere Jahre regelmäßig schrauben. Noch als Teenager konnte ich dann durch Christian Bindhammer meine ersten Male in den professionellen Routenbau reinschnuppern und hab dabei richtig viel gelernt.
Braucht man dazu eine Ausbildung, oder gibt es so etwas überhaupt?
Es gibt verschiedene Ausbildungen beim DAV, aber man braucht diese nicht zwangsläufig um gute Routen zu bauen. Ein gutes handwerkliches Verständnis ist wichtig und der Rest ist vermutlich Erfahrung und Talent. Leider sind die Ausbildungen recht teuer und mit einem großen zeitlichen Aufwand verbunden. Das muss erst mal finanzierbar sein. Und mit der Ausbildung in der Tasche sind die Verdienstchancen als Routenbauer nicht unbedingt höher.
Machst du das jetzt hauptberuflich?
Ja, vor ein paar Jahren hat sich mir die Möglichkeit gegeben und seitdem bin ich beruflich ausschließlich Routenbauer, mit großer Freude.
Schraubst du lieber Boulder oder Vorstiegsrouten ein?
Das ist eine schwere Frage. Ich würde sagen Boulder ein bisschen lieber, weil man dabei etwas kreativer sein kann. Aber das Boulder-Schrauben profitiert vom Vorstiegs-Routen-Schrauben und umgekehrt. Ich glaub, die Abwechslung macht‘s.
Wie sieht in deinen Augen ein gut geschraubter Boulder aus? Und was macht einen Boulder zu einem guten Boulder?
Ein guter Boulder sollte optisch ansprechend sein. Man sollte als Betrachter das Gefühl bekommen: ,,das sieht cool aus, da will ich hochklettern!“. Der Boulder sollte für die Boulderer gut zugänglich sein, also nicht zu tricky und kompliziert, aber er sollte eine passende Herausforderung für den jeweiligen Schwierigkeitsgrad haben.
Worauf sollte man bei den langen Vorstiegsrouten achten?
Vorstiegsrouten sollten erst mal ebenso optisch ansprechend sein. Ne coole Linie mit coolen Griffen motiviert einfach. Die Züge sollten zum Schwierigkeitsgrad passen und keine besonders harten Einzelstellen haben. Die Kletterei darf kräftig, technisch oder ausdauernd sein, aber es sollte zum Charakter der Route passen und einfach Spaß machen zu klettern.
Was ist für beide Disziplinen gleichermaßen wichtig?
Das Wichtigste ist, dass möglichst viele Leute Spaß haben wenn sie meine Routen oder Boulder klettern. Ich schraub ja nicht für mich selbst. Dafür sollte die Kletterei herausfordernd sein aber nicht überfordern. Ich versuche, dass die Züge für eine möglichst breite Range an Körpergrößen funktionieren. Vor allem ist es mir wichtig, dass kleinere Kletterer nicht vor unlösbare Probleme gestellt werden.
Gibt es beim Routeneinschrauben so eine Art Philosophie?
Ja, ganz wichtig ist, dass man auf sicheren Routenbau achtet. Das heißt, man versucht Risiken durch beispielsweise bodennahe Stürze oder große Griffe im Sturzbereich etc. zu vermeiden.
Darf eine Route auch mal etwas „unlogisch“ sein, oder müssen das immer flüssige Bewegungen sein?
Das darf eine Route natürlich auch, speziell beim Bouldern versucht man schon auch mal einen nicht sofort offensichtlichen “Trick“ einzubauen. Speziell bei Vorstiegsrouten werden aber von den meisten Kletterern flüssige und gleichmäßig zu kletternde Routen bevorzugt.
Christian Bindhammer, der 9-fache Deutsche Meister im Hallenklettern, ist ja Chef-Routenbauer in der Halle in Dietmannsried. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Routen überwiegend gut sind. Ist der Anspruch bei euch besonders hoch?
Ja, vermutlich schon. Christian Bindhammer ist einer der erfahrensten und auch besten Routenbauer, die ich kenne. Da konnte ich in den Jahren viel von ihm lernen. Ich glaube, wir haben beide einen hohen Anspruch an uns selbst und an unsere Arbeit. Nach dem Schrauben wird getestet und dann gegebenenfalls verfeinert und angepasst. Das ist sehr wichtig, und macht manchmal einen großen Unterschied.
In manchen Hallen sind die Routen sehr human bewertet, um möglichst viele Kletterer anzuziehen. Die Bewertung ist dann oft unrealistisch. Wie macht ihr das?
Das ist ein schwieriges Thema, hahaha … Bewertungen beim Klettern sind ja schon umstritten seitdem es Bewertungen gibt. Auch da versuchen wir mit unserer eigenen Einschätzung und der Rücksprache mit den Kunden eine möglichst passende Bewertung zu finden. Wichtig ist dabei vor allem, dass die Bewertungen in unserer Halle zueinander passen und nicht zu große Schwankungen haben.
Kann man überhaupt einen Vergleich ziehen zwischen Halle und Fels, was die Bewertung betrifft? Draußen gibt’s ja keine Farben ….
Grundsätzlich auf jeden Fall. Die Schwierigkeit der Einzelzüge und die Intensität der Kraftausdauer lassen sich eigentlich Eins zu Eins vergleichen. Das Onsight-Klettern am Fels ist ohne Farben natürlich deutlich anspruchsvoller. Aber auch draußen gibt es ja zum Teil große Unterschiede in den Bewertungen zwischen Sport- und Alpinklettern, klassischen und neueren Gebieten oder einfach regional.
Welche Rolle spielen für dich persönlich Bewertungen und Schwierigkeitsgrade?
Für meine Arbeit spielen Bewertungen eine große Rolle. Ich will beim Routenbauen möglichst genau den angestrebten Schwierigkeitsgrad treffen. Dafür muss ich genau wissen, wie sich die jeweilige Schwierigkeit “anfühlt“. In meiner Freizeit sind Bewertungen für mich ein guter Richtwert um meine passende Herausforderung zu finden, aber nicht mein Antrieb. Mein Antrieb sind geile Linien und coole Kletterei.
Bist du auch in anderen Hallen aktiv, außerhalb von Dietmannsried?
Ja, ich schraub im Prinzip überall wo man mich bucht. Meistens ist das im Süddeutschen Raum. Für die Kreativität ist es auf jeden Fall super, immer wieder an verschiedenen Wänden mit unterschiedlichen Griffen zu Schrauben.
Das heißt, man könnte dich jederzeit zum Schrauben buchen?
Ja klar, meine E-Mail-Adresse lautet: jan.berner@t-online.de 😊
Das Seilklettern hat eine lange Tradition. Warum hat eigentlich das Bouldern in den letzten Jahren so geboomt?
Ich glaub das liegt an dem einfachen Zugang zu dem Sport durch die Kletterhallen. Gerade in der Halle brauch ich für‘s Bouldern ja quasi nix. Beim Seilklettern brauch ich einiges an Ausrüstung und Fachwissen und natürlich einen Sicherungspartner, beim Bouldern kann ich schon mit Turnschuhen in der Halle loslegen. Das ist einfach unkompliziert. Dadurch ist das Bouldern die letzten Jahre zu einem eigenständigen Sport gewachsen. Und am Fels hat Bouldern ja eine fast ähnlich lange Tradition, auch wenn es oft nur für‘s Training für die “großen Wände“ war.
Was macht für dich den Reiz am Bouldern aus?
Seit dem ich als Kind das erste mal in Fontainebleau war, ist Bouldern für mich auf jeden Fall mehr als nur Training für‘s Klettern. Das Reizvolle ist für mich den unmöglich aussehenden Weg auf den Block zu entschlüsseln. Man sieht die Linie und will da hochklettern.
Welche Vorteile hat das Bouldern gegenüber dem Seilklettern?
Es ist vielleicht etwas unkomplizierter, aber auch nicht immer, hahaha … Beim Bouldern können auf jeden Fall extreme Züge und Bewegungen geklettert werden, die beim Seilklettern gar nicht oder nur in extrem schwierigen Routen vorkommen. Auch das Projektieren ist oft mit weniger Aufwand verbunden.
Kann man eigentlich beim Bouldern auch die Ausdauer für lange Routen trainieren?
In der Halle kann man das auf Jeden Fall. Man kann an den verschiedenen Trainings-Boards oder Definier-Wänden lange Ausdauer-Circles klettern oder mit kurzen Ruhezeiten an seiner Grundausdauer arbeiten. Aber das beste Training für lange Ausdauerrouten sind vermutlich lange Ausdauerrouten, hahaha …
Was macht eigentlich das Klettern mit uns, ich meine welche positiven Auswirkungen hat es?
Klettern ist ein großartiger Sport, es fordert unseren Körper und Geist. Durch die Vielseitigkeit muss ich nie das “Gleiche“ machen. Ich bin draußen in den schönsten Landschaften. Ich würde, sagen es macht glücklich und zufrieden.
Ein bekannter Kletter hat einmal behauptet: „Das Bouldern ist die Seele des Kletterns“. Wie siehst du das?
Ich muss gestehen, dass ich das Zitat gar nicht gekannt hab. Aber ich kann dem schon zustimmen. Bouldern ist ja klettern, nur kürzer und ohne Seil, dafür intensiver. In jeder Kletterroute stecken ja viele kurze oder lange Boulder-Sequenzen drin. Sie ist quasi aus Bouldern aufgebaut.
Boulderst du außer in Bleau auch in anderen bekannten Gebieten wie Averstal, San Bernardino, Maltatal usw.?
Ja, vom Allgäu aus ist man schon recht schnell in vielen tollen Gebieten mit geilem Fels. Da bin ich immer wieder gerne, aber es gibt auch noch viel zu entdecken.
Kann man das Bouldern in der freien Natur mit der Halle vergleichen? Ich meine was die Bewegungsabläufe betrifft …
Ich würde sagen zum größten Teil schon. Meine Inspiration für Bewegungen die ich Schraube, kommt auch zu einem großen Teil vom Bouldern und Klettern am Fels. Der Fels mit seinen verschiedenen Gesteinsarten und Formen bietet oft mindestens genauso abgefahrene und trickreiche Bewegungen wie sie in der Boulderhalle zu finden sind.
Letzten Sommer waren wir am Sustenbrüggli in der Schweiz unterwegs. Zufällig streiften wir dort durch das Bouldergebiet. Da lagen die Crashpads teilweise ziemlich holprig unter den Felsen. Passiert da eigentlich nie etwas?
Unfälle gibts da schon, aber gar nicht mal so viele. Beim Bouldern am Fels sollte man aber schon ein bisschen Erfahrung mit Absprunggeländen, Chrashpads und Spotten haben.
Du kennst dich in der Materie ja ziemlich gut aus. Gibst du eigentlich auch Boulderkurse?
Nein, Kurse gebe ich keine. Aber das könnte ich mir vielleicht für die Zukunft vorstellen.
Hast du irgendwelche Zukunftspläne, oder bleibt‘s beim Schrauben? Ich denke, das Bouldern wird ja weiterhin beliebt sein …
Das Schrauben macht mir total viel Spaß und ist mir bisher auch noch nie langweilig geworden. Ich denke auch, dass guter Routenbau weiterhin immer gefragter wird. Allerdings ist Routenbau auch ein körperlich sehr fordernder Job. Die Griffe sind oft sehr schwer und man muss schon auch ein gewisses Kletterlevel haben, um alle Schwierigkeiten schrauben zu können. Solange meine Gesundheit und Fitness das mitmacht, mache ich das gerne weiter so. Und ich hoffe, dass das noch möglichst lange so ist. Ansonsten könnte ich mir auch gut vorstellen Kurse zu geben oder Athleten zu trainieren.
Und würdest du dir bezüglich Urlaub, Klettern oder Bouldern noch irgendwelche Wünsche erfüllen? Also Gebiete, Routen, Schwierigkeitsgrade usw …
Ich will möglichst viele tolle Kletter- und Bouldergebiete hier in Europa kennenlernen, da gibt‘s echt noch viel was ich nicht kenn. Die bekannten, besten Gebiete der Welt reizen mich schon auch, sind aber kein konkretes Ziel. Beim Klettern und Bouldern würde ich mich gern immer noch weiter verbessern. Schwierigkeitsgrade sind mir dabei nicht so wichtig, obwohl ich schon gerne noch eine Trad-Route und ein paar Boulder im französischen 8. Grad klettern würde.
Jan, vielen Dank für die ausführlichen Einblicke in dein Kletterleben, wir sehen uns wieder in Dietmannsried …
Sehr gerne … und danke, dass du der Kletterszene mit deinem Engagement so tolle Dienste erweist.