Waxenstein-Kamm Überschreitung

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Über alle Berge – Eine Überschreitung des Waxensteinkamms im Wetterstein

Text + Fotos: Madlen & Matthias Kitzig (2018)

Wenn man von Garmisch nach Grainau fährt, rückt rechts neben der Alpspitze der eindrucksvolle Waxensteinkamm ins Blickfeld, der die Bergkulisse oberhalb des Zugspitzdorfes Grainau prägt. Als östliche Begrenzung fällt dabei die Felspyramide des Kleinen Waxensteins mit seiner schönen, klaren Form auf. Der Kamm verläuft von dort im stetigen Auf und Ab nach Westen über den Zwölferkopf, den Großen Waxenstein, den Hinteren Waxenstein, die Schöneckspitze, die Schönangerspitze und die Riffelspitzen zur Riffelscharte. Angeregt durch das großartige Buch von Thomas Otto hatten wir bereits in den vergangenen Jahren den Kleinen und den Großen Waxenstein auf den Normalwegen bestiegen. Dabei reifte der Plan heran, den nördlichsten Grat des Wettersteingebirges am Stück zu überschreiten. Der „Alpenvereinsführer Wetterstein“ veranschlagt dafür eine Zeit von 13 -14 Stunden ohne größere Rasten für diese „großzügige und schwierige Kletterfahrt“ (mit Ausgangspunkt und Ende am Wanderparkplatz Hammersbach).

Zugspitzdorf Grainau mit Waxensteinkamm

Als wir an diesem frühen Augustmorgen von Untergrainau startend durch den Stangenwald aufstiegen, triefte dieser vor Nässe. Bis in die letzte Nacht hinein hatte es wie aus Kübeln geschüttet. Aber für die nächsten zwei Tage war endlich stabiles und sonniges Bergwetter angesagt worden. Das war unsere Chance. Den Weg auf den Kleinen Waxenstein hatten wir noch in guter Erinnerung. Nach Erreichen der Schuttreiße, die von der Mittagsschlucht herabzieht, ging es diese hinauf und dann im schrofigen Steilgelände zum Manndl, einem Latschenkopf, der dem Nordgrat des Kleinen Waxensteins vorgelagert ist. Der Nordgrat bot nun sehr schöne Kletterstellen (II) und wir genossen das freie Steigen mit Blick auf den Eibsee, die Zugspitze und den auf der anderen Seite des Höllentals verlaufenden Jubiläums-Grat. Vom Gipfelkreuz des Kleinen Waxensteins (2.136 m) präsentierte sich vis-a-vis die 1920 erstbegangene Mehrseillängen-Kletterroute „Zwölferkante“ (IV+) am Zwölferkopf. Sie hatte uns nur wenige Tage zuvor mit ihrer interessanten, steilen Plattenkletterei an scharfen Erosionsrillen in Atem gehalten. Schon Walter Pause schwärmte in seinem Klassiker „Im schweren Fels“ von der idealen Linienführung verbunden mit einer prickelnden Ausgesetztheit. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Am Nordgrat des Kleinen Waxensteins

Aber uns blieb heute nicht viel Zeit für genussvolle Betrachtungen. Also schnell in die Klettergurte und dann nordseitig kurz auf ein Felspodest abgeklettert. Hier fand sich der im Internet und AV-Führer beschriebene, eingebohrte Abseilhaken. Laut Beschreibung seilt man 1 x 25 m zu einem kleinen Absatz und dann nochmal 20 m über den Westgrat in die Mittagsscharte ab. Hört sich einfach an. Und die Abseilstrecke durch eine Rinne drängte sich förmlich auf. Also los! Doch je weiter es nach unten ging, umso größer wurden die Zweifel. Die Rinne lenkte immer weiter südlich zur Höllentalseite hin und damit weg von der Mittagsscharte. Nach ca. 25 m Abseilen tat sich unter mir nur die gähnend-steile Südwand zum Höllental hin auf und es war klar: Der zweite Abseilstand muss nordseitig liegen. Sch…!!!  Schon der Blick nach oben ließ mich ins Schwitzen kommen. Aber es half nichts, jetzt hieß es: Hochprusiken. Die zwei Reepschnüre waren schnell ums Seil gelegt, aber was dann kam, war echte alpine Knochenarbeit 😉 Nach ca. 20 m konnte ich dann das Seil über die nördliche Begrenzungsrippe der Rinne lupfen und nordseitig abseilen. Der zweite Abseilstand war dann schnell gefunden. Aber die Uhr war unterdessen natürlich erbarmungslos weitergelaufen. Das Motto war jetzt also: Strecke machen! Den Weg aus der Mittagsscharte auf den Zwölferkopf kannten wir glücklicherweise schon als Abstiegsweg nach unserer „Zwölferkante“-Klettertour. Es ging also im Sauseschritt die steilen Schrofen der Ostflanke hinauf und dann in leichter Kletterei (II) über den Südgrat auf den Gipfel. Mit ausgebreiteten Armen empfing uns wieder die Jesus-Statue, die dort anstelle eines Gipfelkreuzes steht.

Der nun folgende Gratabschnitt hinüber zu seiner höchsten Erhebung, dem Großen Waxenstein, erwies sich als recht zeitaufwändig. Schon der Blick vom Zwölferkopf über die vielen Türme, Blöcke, Scharten, Schuttrinnen und Steilabbrüche ließ die Hoffnung auf ein schnelles Vorankommen schwinden. Die verfügbaren Beschreibungen enthalten angesichts dieser Kleinteiligkeit nur stark verkürzte Angaben. Bei jedem Gratturm war also zu prüfen, ob eine nord- bzw. südseitige Umgehung oder das direkte Überklettern möglich war. Kurz vor dem Gipfel, das Gipfelkreuz war schon ganz nah, tat sich dann noch mal eine ca. 15 m tiefe Scharte auf. Den sehr steilen Kamin (III) hinunter haben wir an einem Block abgeseilt. Ausreichend Reepschnur zum Einrichten oder Verstärken von Abseilstellen sollte man bei dieser Tour unbedingt dabeihaben.

Abseilen in die Scharte vor dem Großen Waxenstein

Auf der anderen Seite der Scharte stellte sich dann wiederum ein abenteuerliches, kaminartiges Gebilde in den Weg (laut AV-Führer ebenfalls III). Darin steckte auf halber Höhe ein riesiger Klemmblock, der von einer Schuttrinne gekrönt wurde. Das sah nicht sehr einladend aus. Und an Seilsicherung war angesichts des überall herumliegenden Schutts sowieso nicht zu denken. Also Seil eingepackt und Plan B entwickelt: Die rechte Begrenzungswand des Kamins war zwar ebenfalls übel brüchig, aber ansonsten ganz gut griffig.

Steiler Aufschwung vor dem Großen Waxenstein (III+)

Nach wenigen Minuten Kletterei erreichten wir endlich das Gipfelkreuz des Großen Waxensteins (2.277 m). Hier war erstmal Durchschnaufen angesagt. Dieses Wahrzeichen Grainaus wurde bereits 1871 durch den genialen Karwendel- und Wettersteinpionier Hermann von Barth mit M. Ostler über die Südflanke erstbestiegen. Eine Rast war hier angesichts des großartigen Panoramas Pflicht. Unseren weiteren Weg über den Waxensteinkamm verfolgend fiel der Blick auf die uns noch mehr als 700 Höhenmeter überragende Zugspitze. Hier war auch das einzige Mal auf dieser einsamen Tour, dass wir anderen Bergsteigern begegneten. Das Pärchen aus dem Werdenfelser Land war etwas überrascht, als wir plötzlich aus dem „Schacht“ kletterten. Sie waren auf dem Normalweg von der Höllentalangerhütte über den Schafsteig und die Waxensteinrinne aufgestiegen.

Unser weiterer Weg führte uns hinab zu eben dieser Rinne. An deren oberem Ausstieg war über unangenehm steiles, splittüberflossenes Schrofengelände etwas südlich des Kamms zu queren. Schließlich gewannen wir den hier teilweise sehr ausgesetzten, zackigen Grat wieder über eine kurze Kletterstelle. Zur Rechten immer die senkrecht abfallende Nordwand kraxelten wir auf den Hinteren Waxenstein (2.268 m). Kein Gipfelkreuz markiert diesen einsamen Gipfel, aber die uns aus einer Internetbeschreibung bekannte Abseilstelle an einem kleinen Block war schnell gefunden. Alternativ kann man die ca. 20 m hohe, unten überhängende Gipfelwand (IV) auch abklettern. Aber auf solche Experimente verzichteten wir heute mit Zustiegsschuhen lieber. Beim Abseilen stellten wir fest, dass es ca. 3 m unterhalb des alten Abseilblocks inzwischen auch eine Bohrhaken-Lasche zum Abseilen gibt. Wir landeten unterhalb eines großen Klemmblocks in einer nordseitigen Schuttrinne, aus der wir schnell wieder den Grat erreichten.

Luftiger Grat an der Schöneckspitze

Da es im gleichen Stil anhaltend alpin weiterging, seien aus dem weiterem Tourenverlauf nur noch zwei besonders eindrückliche Passagen erwähnt. Der Anblick des Ostgrats der Schöneckspitze (III+) ließ uns noch einmal das Seil auspacken. Die Mischung aus Grataufschwung, Plattenquerung und abschließender Überwindung eines brüchigen, wenn auch gutgriffigen, Risses hatte es in sich. Hier waren keinerlei Normal- oder gar Bohrhaken zu erwarten. Und auch der Stand an einem Klemmkeil plus mickriger Sanduhr hatte wohl eher Placebowirkung. Getestet wurde er dann auch glücklicherweise nicht. Nach dieser steilen 60m-Seillänge ging es in freier Kraxelei über den äußerst luftigen Grat zum Gipfel der Schöneckspitze.

Im Abstieg von der Schönangerspitze

Nach dem Abseilen von der Schöneckspitze in die nächste Scharte und endlich mal „bequemerem“ Gehgelände an den elegant geschwungenen Grashängen der Schönangerspitze standen wir vor der malerischen Grasmulde des Schönangers. Hier tummelten sich an die 30 Gämsen mit Jungtieren. Auf der anderen Seite stellte sich aber schon das letzte große Hindernis in den Weg: der Nordost-Grat (II) der Nördlichen Riffelspitze (2.242 m). Wir kletterten über den aus der Scharte aufsteigenden Grat, der sich immer mehr zusammenschnürte um sich am Ende als Reitgrat zu präsentieren.

Reitgrat-Stelle am Nordostgrat der Nördlichen Riffelspitze
(im Hintergrund die Grashänge der Schönangerspitze)

Nach links führt dann eine Felsrampe aus gerissenen Platten hinauf zu einem extrem schmalen und ausgesetzten Schrofenband, das die steil abfallende Ostwand der Nördlichen Riffelspitze durchzieht. Diesem folgten wir ohne nennenswerte Griffe wie auf Eiern gehend zum Gipfel. Mit leicht wackelnden Knien saßen wir dann hier im Gras und schauten hinab auf den Schönanger und den bereits hinter uns liegenden Teil des Waxensteinkamms. Nach der einfachen Überschreitung der Südlichen Riffelspitze (I – II) standen wir endlich in der steinig-kargen Riffelscharte (2.161 m).

Am Nordostgrat der Nördlichen Riffelspitze mit Blick auf die Plattenrampe

Die Sonne stand inzwischen schon tief über den Ammergauer Alpen. Daher schnell die Klettergurte und das übrige Gebammel eingepackt. Die rund 1.400 Höhenmeter bis Grainau waren dann kein Vergnügen mehr. Auf dem Grat waren doch einige „Körner“ liegengeblieben. Hinter der Höllentalangerhütte wählten wir den über der Höllentalklamm verlaufenden Stangensteig. Das bedeutete zwar noch mal einen Gegenanstieg, aber auf die kalte Dusche in der Klamm legten wir heute Abend keinen gesteigerten Wert mehr. Der Stangensteig führte uns am Fuße des Höllentorkopfes vorbei, dessen reizvolle Nordkante (auch ein Pause-Klassiker, IV) im Jahr 1906 erstbegangen wurde. Ach, es gibt noch sooooooo viel zu tun! Wetterstein wir kommen wieder.

Charakter

Im Gegensatz zum gegenüberliegenden Jubiläumsgrat eine äußerst selten begangene, sehr natürliche Gratüberschreitung. Sie weist weitgehend keine Steigspuren, Markierungen oder Sicherungen auf. Die langen ausgesetzten Passagen erfordern eine anhaltend hohe Konzentration. Die ausschließlich „by fair means“ zu bewältigenden insgesamt ca. 2.100 Höhenmeter im Auf- und Abstieg sind konditionell fordernd.

Literatur

Thomas Otto: „Münchner Bergtouren – 46 Felstouren im II. Grad zwischen Salzburg und Oberstdorf“, Rother Selection, 1. Auflage, 2012. (Tourenbeschreibung Kleiner Waxenstein)

Stefan Beulke: „Alpenvereinsführer Wetterstein“, Bergverlag Rother, 4. Auflage, 1996.

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