Die Schertelplatte an der Gimpel-Nordwand

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Während die Tannheimer Südwände vom Plaisirklettern geprägt sind, geht es auf deren Nordseite deutlich alpiner zur Sache. Beim Zustieg durch’s Reintal reihen sich die düsteren Nordwände der Gehrenspitze, Kellenspitze und des Gimpels wie eine Perlenschnur aneinander. Das relativ geringe Angebot an gängigen Routen in den bis zu 600 m hohen steilabfallenden Wänden samt alpinem Ambiente bedingt, dass hier vergleichsweise viel weniger Kletterer unterwegs sind. Vielmehr ist das malerische Raintal ein Paradies für Wanderer und Biker, die sich eine Einkehr auf den zahlreichen Hütten gönnen.

Zwar gibt es an den schattigen Wänden mittlerweile auch ein paar moderne Routen (Marktoberdorfer Pfeiler, Gotisches Fenster, Gimpelperle, Feuerland usw.), die sind jedoch meist anspruchsvoll und für die Spezialisten geeignet. Unter den vielen klassischen, teils in Vergessenheit geratenen Linien, besitzt u. a. die „Schertelplatte“ an der Gimpel-Nordwand einen gewissen Bekanntheitsgrad. In frühen Jahren galt die Tour als „Extremklassiker“, seit der sanften Sanierung hat sich ihr Ruf jedoch etwas relativiert. Geblieben sind teils weite Hakenabstände und der Orientierungssinn wird nach wie vor auf die Probe gestellt.

Namensgebendes Herzstück ist eine überdimensional große Plattenflucht, die sogenannte „Schertelplatte“. Um dorthin zu kommen, muss zunächst einmal über das breite Gimpelband ohne jegliche Sicherungsmöglichkeit aufgestiegen werden. Nicht schwer, aber vielleicht doch ein bisschen kritisch, wenn man bedenkt, dass man sich auf dieser 150 Meter langen schiefen Ebene keinen Fehler erlauben darf. Danach beginnt die seilgesicherte Kletterei und über schöne Verschneidungen mit einer delikaten Plattenpassage gelangt man schließlich zur eigentlichen „Schertelplatte“.

Und die ist richtig schön und wasserzerfressen rau, der Vorsteiger muss es allerdings drauf haben, um einen ellenlangen Runout entlang einer diagonalen Leiste nach rechts zu überwinden. Schließlich landet man in einer Verschneidung (Standplatz) und klettert gleich danach etwas humaner in der Platte weiter, um endlich auf einem sonnigen Absatz zu landen. Die schwierigsten Längen sind nun überwunden, doch danach wird der Orientierungssinn im steilen, grasdurchsetzten und unüberschaubaren Schrofengelände auf die Probe gestellt …

Hier teilt sich der Weg: rechts der Originalweg, links der Lang-Schmitt-Kamin, beides etwa gleich schwer. Wir entschieden uns für die linke Variante und erreichten nach 3 Seillängen labiler Schrofenkletterei ein Band, dem Beginn der Kaminreihe. Es ist dabei ratsam, den bereits von unten sichtbaren ersten Kaminspalt anzupeilen. Wer die rechte Variante wählt, trifft ebenfalls auf das Band und kann anschließend noch nach links zur Kaminreihe hinüberqueren. Oder über den Originalweg weiterklettern. Egal wie man sich entscheidet, es ist immer schwierig, die wenigen Haken zu finden. Mobile Absicherung ist kaum möglich, und dies auf eine Länge von 2 bis 3 Seillängen.

Wer dies nun überwunden hat, ist auf dem richtigen Weg und wird mit 2 schönen Kamin- und Verschneidungs-Längen belohnt. In der nächsten Seillänge werden die grasigen Schrofen plötzlich furchtbar steil und man ist um jeden gefunden Haken froh. Auf der rechten Seite gibt es dazwischen noch einen fixen Friend, der mit langen Schlingen verlängert werden kann. Am Ende zwängt man sich durch einen engen, grasigen Spalt (glücklicherweise ist da noch ein Haken) um an den Standplatz in einer feucht modrigen Gufel zu gelangen. Immerhin wäre das im Notfall ein sicherer Biwakplatz!

Aus der Gufel heraus erreicht man schließlich die 4. Kaminlänge, eine der besten Seillängen der Tour! Ein tiefer Spalt zieht sich durch den 25 m langen Aufschwung und es macht richtig Spaß am äußeren Rand des Kamins hochzusteigen. Im Kletterführer mit 5 angeben, ist diese Passage allerdings wohl etwas unterbewertet! Danach führt die Route über eine plattige Pfeilerwand, die auch links absteigend umgangen werden kann, in die breite Gipfelschlucht. Über schrofiges Gelände geht es nun stets empor, später links haltend, um auf einen Absatz zu gelangen. Stand bei einem großen Felszacken. Von hier in einer halben Seillänge hinauf zum Gipfel.

Fazit
Es handelt sich um eine großartige Unternehmung in wilder alpiner Umgebung. Die Kletterei ist vielfältig und bietet anspruchsvolle Platten, sowie schöne Kamine bzw. Verschneidungen. Weite Strecken sind aber auch über steiles, schrofiges bzw. grasdurchsetztes Gelände zu bewältigen. Durch die Länge und Wegfindung ist die Tour eine anspruchsvolle Unternehmung, die nicht unterschätzt werden darf. Ein kleines Testpiece für längere alpinere Ziele. Für versierte Alpinisten und Kletterer aber sicher kein Problem!

Ein paar Tipps für eine erfolgreiche Begehung

  • Zusammen mit dem Zu- und Abstieg bietet die Tour ein tagesfüllendes Programm, deshalb sollte bereits früh morgens gestartet werden.
  • Es kann auch auf den Hütten im Raintal übernachtet werden, somit ist der Einstieg in einer Dreiviertelstunde zu erreichen.
  • Die Wegfindung ist im oberen Bereich teilweise schwierig und verlangt eine gute Orientierung im unüberschaubaren alpinen Gelände.
  • Dazu sollte das Begehen steiler schrofiger und grasdurchsetzter Flanken sicher beherrscht werden. Hier gibt es nur wenige Haken, die nicht leicht zu finden sind. Die mobile Absicherung ist überwiegend schwierig.
  • Nur bei sicheren Wetterverhältnissen einsteigen! Bei einem Wettersturz in der oberen Hälfte ist man schutzlos ausgeliefert. Nach der Schertelplatte ist der Rückzug sehr schwierig.
  • Nur bei trockenen Verhältnissen einsteigen! Die Schertelplatte und darunterliegenden Verschneidungen sind oft nass. Die grasigen Passagen sind bei Nässe ebenso sehr unangenehm zu klettern.
  • Die Länge der Tour darf nicht unterschätzt werden. Deshalb sollte eine gute Grundkondition mitgebracht werden.
  • Die oberen Seillängen können teilweise auch ausgegangen werden, somit reduziert sich deren Anzahl auf ca. 14.

Schwierigkeit
In den schrofigen Seillängen überwiegend 2 bis 4. In den schweren Seillängen meist 5 bis 6. Insgesamt maximal 7- bzw. 6+ obligatorisch.

Wandhöhe
Ca. 600 m

Zeitbedarf
Zustieg: ca. 2 bis 2,5  Stunden
Schertelplatte: ca. 5 bis 6 Stunden
Abstieg: ca. 2 bis 2,5 Stunden
Insgesamt: ca. 10 Stunden

Absicherung
Die Route ist in den schweren Seillängen ausreichend mit Bohrhaken abgesichert. In der Schertelplatte gibt es einen längeren Runout (ca. 8 m) entlang einer diagonalen Leiste. Im Schrofengelände sind gelegentliche Zwischenhaken vorhanden, aber nur schwer zu finden. Hier ist es sehr mühsam mobile Sicherungen anzubringen. An den vorhandenen Ständen befinden sich jeweils 2 Bohrhaken. Nach den Hauptschwierigkeiten müssen die Stände selbst gebaut werden.

Ausrüstung
60-Meter-Doppelseil, 10 Exen, ein paar Friends, Schlingen

Ausgangspunkt
Gasthof Bärenfalle bei Musau zwischen Reutte und Vils. Von der Bärenfalle ca. 300 m entlang des Schotterwegs zum Parkplatz.

Zustieg
Mit dem Bike entlang des Schotterwegs hinauf Richtung Otto-Mayer-Hütte. Das Bike wird dort deponiert, wo der Weg von der Nesselwängler Scharte herabführt. Nun geht es zu Fuß weiter. Etwas unterhalb der Hütte verlässt man den Weg bei einer Kehre nach links in den Wald. Man folgt einem ausgetrockneten Bachbett (ca. 100 m) bis auf der linken Seite ein großes Geröllfeld sichtbar wird. Hier geradeaus hoch bis zum Beginn des markanten Gimpelbandes. Mit dem Bike ca. 2 Stunden.

Orientierung

Aufstieg über’s Gimpelband
Entweder seilfrei oder am laufenden Seil ca. 150 Meter entlang des Gimpelbands. Auf der rechten Seite ist das Gelände etwas leichter. Später hält man sich nach links zum 1. Stand. Schwierigkeitsgrad 2. Es sind praktisch keine Sicherungsmöglichkeiten vorhanden bzw. kaum anzubringen.

Schertelplatte
1. Seillänge: Über eine Rissverschneidung leicht rechtshaltend zum Stand. (5+)
2. Seillänge: Nach links durch einen Risskamin, danach über eine Platte hinauf zum Band. (6+)
3. Seillänge: Beginn der Schertelplatte. In einer Links-Rechts-Schlaufe in die Verschneidung. (7-)
4. Seillänge: Wieder nach links über die Platte auf einen Absatz. (5+)

Schrofengelände
5. Seillänge: Etwas linkshaltend zum Stand. (2+)
6. Seillänge: Etwas linkshaltend zum Stand. (3+)
7. Seillänge: Etwas rechtshaltend zum Stand zum Beginn der Kaminreihe. (2+)

Kaminreihe
8. Seillänge: Durch den Kamin geradeaus, später links zum Stand. (5+)
9. Seillänge: Durch den nächsten Kamin geradeaus weiter. (5+)
10. Seillänge: Zu Beginn Schrofen und Steilgras. Danach eine heikle grasige Engstelle zum Stand in einer Gufel. (5+)
11. Seillänge: Rechtshaltend, später geradeaus weiter über den markanten Kamin. (5+)

Schrofengelände
12. Seillänge: Leicht rechtshaltend weiter zum Pfeilerkopf. Oder links absteigend umgehen. (4+)
13. Seillänge: Durch die breite Schlucht empor. Seillänge variabel. (2+)
14. Seillänge: Etwas linkshaltend durch die Schlucht. Seillänge variabel. (2+)
15. Seillänge: Etwas linkshaltend auf einen Absatz. Seillänge variabel (2+)
16. Seillänge: Über die Gratkante zum Gipfel. (2+)

Abstieg
Vom Gipfel nach links über den Normalweg hinab. Anschließend horizontal entlang der Zwerchwand zur Nesselwängler Scharte. Von hier Abstieg zurück zum Ausgangspunkt. Vom Gipfel ca. 2 Stunden.

Unterkünfte
www.ottomayrhuette.com
www.musaueralm.at
www.fuessener-huette.at

Webinfo
www.gwi-consulting.de
www.climbers-paradise.com
touren.lampatzer.de
www.lotharklingel.de
www.walter-hoelzler.de

Literatur
Kletterführer Allgäu incl. Tannheimer Tal www.panico.de

Bildgallerie

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