Allgäuer Grate – 33 Stunden nonstop

4.2
(6)

Ein Bericht von Philipp Munkler

Es ist 1 Uhr morgens, noch schnell das Müsli auslöffeln und dann steht eine ganz besondere Reise an: ein 33-stündiger Ausflug ohne Schlaf und Hilfsmittel. Ein Trip der die Grenzen aufzeigen, schöne Emotionen aber auch Tiefpunkte und Einsamkeit bescheren wird. Rund 6000 Höhenmeter und 45 Km im ausgesetzten Gelände sowie 80 km Fahrradfahren stehen auf dem Programm …

Die Klettertour „Wiederholungsaufgabe“ seilfrei, mit zwei Seillängen im unteren 6. Grad, sowie fünf Grate im klassischen Allgäufels wollen bezwungen werden. Ein Gelände welches keine Fehler erlaubt. Ein Zusammenbruch oder ein erschöpftes Stolpern könnte fatale Folgen haben. Ein Griff- oder Trittausbruch im teils splittrigen Fels der Westwand an der Fuchskarspitze würde zum Absturz führen. Neben der langen Vorbereitung entscheidet also auch das Schicksal, was in den nächsten 33 Stunden passieren wird …

Worin liegt die Motivation an einer solchen (Tor) Tour?

Wieso diese Quälerei, dieses Risiko, wieso freiwillig auf Schlaf verzichten – ist Schlafentzug nicht normalerweise eine Foltermethode? Eine gute Antwort auf diese Fragen ist schwer zu finden. Doch diese Tour ist wie die Premiere, nach einer schönen aber anstrengenden Vorbereitungszeit. Ich gehe diesen Weg, weil ich weiß, welche unbezahlbaren Erfahrungen ich machen werde. Ein Abenteuer, von dem ich auch im Alltag lange zehren kann.

Und los geht‘s

Los geht’s mit dem Fahrrad durch die Nacht, die Straßen sind noch leer. Meine Uhr misst den Puls, denn ein langsamer Start wird sich für die weiteren Stunden positiv auswirken. Immer wieder kreisen die Gedanken um die bevorstehende Solotour. Ein Teil der Vorbereitung war es, die Tour seilfrei zu klettern. Doch wie wird das Ganze mit Schlafentzug funktionieren?

Es läuft alles nach Plan, die Materialseilbahn des Prinz-Luitpold-Hauses ist erreicht. Flott geht’s zur Hütte hinauf und im Anschluss auf den Wiedemer. Es ist 06:30 Uhr, die Sonne geht auf und die wärmenden Strahlen spenden Motivation. Die schroffen und felsigen Gipfel werden von wunderschönem orangenem Licht angeleuchtet. Die Fuchskarspitzen, der Hochvogel, die Wilden, die Höfats und in weiter Entfernung die Trettachspitze. Der Anblick und die Vorstellung all diese Gipfel am Stück zu besteigen, ist motivierend und beängstigend zugleich.

Im Laufschritt geht’s über den Wiedemergrat zur Kreuzspitze und wieder hinunter zur Westwand der Nördlichen Fuchskarspitze. Die rund 300 Meter hohe Felsmauer wirkt mächtig, ich bin froh alleine zu sein. Irgendwie fühlt es sich immer wieder falsch an, mit Kletterschuhen und Chalk in die Wand zu steigen und dabei auf den Gurt und das Seil zu verzichten. Der Fokus ist gut, doch in der vierten Seillänge bekomme ich plötzlich Respekt. Der Fels wirkt hier kurzzeitig etwas brüchig und es ist zimlich ausgesetzt. Durch die richtige Atmung bekomme ich das leichte Zittern meiner Beine aber wieder in Griff und kann entschlossen weiterklettern. Die Schlüsselstellen durch eine Verschneidung und einen kleinen Überhang gehen genüsslich von der Hand. Es ist immer wieder schön sich kontrolliert im ausgesetzten Gelände zu bewegen. Mit dem Erreichen des Gipfels überkommt mich das Gefühl der absoluten Freiheit.

Doch der Weg ist noch lang, im schnellen Tempo geht es über die Madonna zur südlichen Fuchskarspitze. Danach fix auf den Hochvogel (Wahnsinn was hier los ist) und zum Wildengrat. Die Strecke zum großen Wilden zieht sich. Sie ist monoton und die Kletterstellen sind eher im Schutt, statt im guten Fels. Erste Erschöpfungszustände treten auf. Die Hitze quält und mein Körper verliert Nährstoffe und Flüssigkeit. Doch der Kopf hat gelernt, auch mit solchen Umständen umzugehen.

Einige Stunden später kann ich endlich meine Flasche auffüllen und mich auf den Weg Richtung Höfats machen. Dieser Grasberg ist das Wahrzeichen des Allgäus. Ich möchte alle vier Gipfel überschreiten und über die steile Wiese in Richtung Bergwachthütte absteigen. Am Ostgipfel der Höfats habe ich bereits zwischen 3000 und 4000 Höhenmeter laufend und kletternd sowie 40 km Fahrradfahren hinter mir.

Es wird immer schwieriger konzentriert zu bleiben. Die Kletterei der Gipfel-Überschreitung ist nicht besonders schwierig. Jedoch erfordert der schmale Grat mit brüchigem Felsen und abschüssigem Gras nochmal volle Konzentration. Beim Abstieg über das steile „Allgäu-Gelände“ setzt plötzlich ein Tunnelblick ein. Alles läuft wie im Film, erschöpft geht es die Wiese hinunter.

In Gerstruben wartet bereits mein Physio-Therapeut Kristof mit dem Abendessen. Franzi bringt mir ein zweites Fahrrad an den Parkplatz Renksteg. Beide sind erstaunt, von außen sehe ich wohl noch frisch aus. Auch die Beine sind noch im guten Zustand. Es ist schön vom bisher erlebten zu erzählen. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Trotz dem einsetzenden Regen fällt die Entscheidung, die Tour fortzusetzen.

Es geht also rein in die zweite Nacht und mit dem Fahrrad nach Einödsbach. Der Weg Richtung Wildegundköpfe ist nachts nicht leicht zu finden. Es ist ein unheimliches Gefühl, allein durch den dunklen Buchenwald zu wandern. Nach einiger Zeit überkommt mich ein Erschöpfungszustand. Die Beine Schmerzen und ich habe einen flauen Bauch. Einsamkeit überkommt mich, wie schön wäre jetzt eine Runde Schlaf. Doch ich rede mir ein, dass die Flucht nach oben die beste Möglichkeit ist. Bald ist es geschafft, denke ich mir.

Schleppend geht es weiter Richtung Alpegundkopf. Plötzlich zieht extremer Nebel auf. In diesem kalten, feuchten Wetter versuche ich mich mit Rettungsdecken und einem Biwaksack warm zu halten. Doch nach zwei harten Stunden (halb wach, halb im Schlaf) verzieht sich der Nebel. Ein Zeichen, dass ich mich auf den Weiterweg machen sollte.

Auf dem Westgrat der Trettach gibt’s zur Belohnung einen zweiten Sonnenaufgang. Von hier sind alle Gipfel und Grate sichtbar, die ich überschritten habe. Ein gewaltiges Gefühl. Ich genieße die letzte Gipfelrast, bevor es wieder runter Richtung Einödsbach geht. Beim Abstieg melden sich dann die Knochen. Es ist genug … Das Becken schmerzt und meine Bewegungen ähneln eher einem Humpeln statt einem Laufen. Die Schmerzen plagen und der Tunnelblick ist verschwunden.

Am Ziel

Gegen 09:30 Uhr erreiche ich dann endlich mein Fahrrad. Die Rückfahrt zieht sich. Doch um 11 Uhr bin ich Zuhause. Völlig erschöpft öffne ich mir erstmal ein Bier. Ob ich sowas nochmal machen will? Hmm … ja, ich glaub schon ? Aber dann erst nächstes Jahr wieder …

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